Landleben
einer Ladung weißgesichtiger Rinder vorbei-gedonnert, die zwischen den Latten herausblickten. Doch
wie hätte er sie sehen können? Er hatte sich darauf kon-
zentriert, den kleinen Camaro auf der Straße zu halten,
wahrscheinlich hatte er den Viehlaster zu einem anderen
Zeitpunkt an diesem glorreichen, weit offenen Morgen be-
merkt. Der endlose alkaline Himmel mit den durchschei-
nenden Wolken türmen, das pupurn getönte Weideland, das
sich zu beiden Seiten des Highways erstreckte. Mirabella
hob den Kopf aus seinem Schoß und fragte heiser: «Woher
hast du bloß das ganze Zeug? Ich dachte, du wärst allmäh-
lich leer gepumpt.» Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß, von
der Enge, in der sie gearbeitet hatte. Sie setzte sich auf und
wischte sich mit Daumen und Zeigefinger die Mundwin-
kel. Ekelbä. Sie lehnte sich zurück, ließ den Kopf an die
gepolsterte Kopfstütze sinken. Sie sah müde aus und nicht
so jung, wie er gedacht hatte. Ihr Profil, das sich vor der vor-
beisausenden lila Wüste abhob, hatte ein Doppelkinn und
eine Spur von Collagen um die Wangenknochen.
«Ich weiß nicht», sagte er. «Du machst mich an.»
«Ich will dir was sagen. Du solltest dir eine Frau zule-
gen.»
«Ich hab schon eine, danke.»
Da, wo der transformative, alles klärende Eiszapfen in
seinen Kopf eingedrungen war, bekam er jetzt Kopfschmer-
zen. Als sie zu der schönen Stelle kamen, die Mirabella ver-
sprochen hatte – einem großen blauen See, dort, mitten
in der Wüste, geschaffen durch einen mit Bundesgeldern
gebauten Staudamm –, schien ihm auch das Teil seiner
Kopfschmerzen, eine weitere unnatürliche Intervention,
mit Motorjachten und einer schäbigen Marina. Owen frag-
te sich später, ob sie vielleicht doch eine Prostituierte war,
von Kollegen von ihm bei der Konferenz instruiert zu sa- gen, sie sei schon in ihrer Kindheit ein Fan von DigitEyes
gewesen. Aber das mochte er nicht glauben, sie schien sich
mit Computern zu gut auszukennen, und sie verlangte
nichts für ihre sexuellen Dienste, sagte allerdings, er schul-
de ihr sechshundert Dollar für das Kokain.
XII Kleinstadt-Sex 6
In Middle Falls war in den siebziger Jahren der Weg zu
verbotenem Sex kürzer geworden, die Bahnen waren gut
geölt. Der Geruch, der an Owen haftete, war strenger ge-
worden, ein Geruch, der Frauen mitteilte, dass er zu ha-
ben war für das, was nur sie bieten konnten. Das galt nicht
für jeden. Manche Männer in Middle Falls interessier-
ten sich mehr für den nächsten Drink als für die nächste
Frau – Jock Dunham war einer von ihnen gewesen. An-
dere, wie Ed Mervine, steckten alle Leidenschaft in ihre
Arbeit – die Maschinen, die Personalkosten, die Bilanz, das
Freibeutertum mit riskanten Unternehmungen in einem
fruchtbaren, aber verminten Feld. Bestimmte Ehemänner,
zu denen Henry Slade offenbar gehörte, waren einfach zu
vertrocknet, zu steif, zu sehr vereinnahmt von dem Öden
Geschäft, den Lebensunterhalt zu verdienen und mit dem
Besitz hauszuhalten, um bei dem Liebesreigen mitzuma-
chen. Sein Posten in der Bürokratie in einem der farblosen
Marmorkästen von Hartford, die sich um das Capitol aus-
dehnten, eine spitze, turmbewehrte Basilika mit einer gol-
denen Kuppel, so schmal wie der Streifen oben an einem
Bleistift, definierte und erfüllte ihn auf eine Weise, dass
er in das gesellschaftliche Leben in Middle Falls lediglich
Bodensatz einbrachte, im Vergleich zu den vielen Aktivitä-
ten seiner Frau. Nicht dass Henry bei den Wochenendzu-
sammenkünften fehlte: Im Gegenteil, er kam, mit Vanessa, zu jeder Cocktailparty und zu jedem Wettschwimmen der
Kinder am Heron Pond und zu jedem geselligen Picknick
und jedem förmlichen Wohltätigkeitsball. Abgesehen von
einem gelegentlichen trockenen Lachen gab er mit kei-
nem Zeichen zu verstehen, ob ihm diese Geselligkeiten
gefielen oder nicht. Er rauchte Pfeife und nickte beim Zu-
hören, und seine Antworten umfassten selten mehr als ein,
zwei Wörter, wobei er, bevor er diese Antwort gab, seine
Pfeife ausklopfte oder die Lippen zusammenkniff und sei-
ne Blicke ausweichend seitwärts schwenkte. Er erweckte
den Eindruck, als zögerte er bei der Wahl zwischen Arten
oder Geschmacksrichtungen von Weisheiten, die er in sei-
nem umfangreichen Sortiment zur Verfügung hatte; Owen,
der ihn seit über zehn Jahren kannte, war zu dem
Weitere Kostenlose Bücher