Landung ohne Wiederkehr
genetische Umprogrammierung zu raschwüchsigen, empfindlichen Fleisch- und Milchlieferanten geworden.
Wildtiere waren so selten geworden, daß ihr Anblick einer Sensation gleichkam. Der umfangreiche Einsatz von versprühten Insektiziden hatte im Laufe vieler Dekaden sogar die Insekten an den Rand der Auslöschung gebracht, und mit ihnen waren Wildblumen und Sträucher und die Mehrzahl der Vögel verschwunden. Große Wildtiere gab es nur noch in den Zoos, deren Zahl langsam zurückging.
Selbst Katzen und Hunde waren selten geworden, denn wenn jemand schon ein Haustier haben mußte, war es viel patriotischer, einen Hamster zu halten.
Daraus auf einen Rückgang des Lebens auf der Erde zu schließen, wäre indes völlig verfehlt gewesen. Die Quantität tierischen Lebens war so groß wie nie zuvor, aber der größte Anteil davon entfiel auf nur eine Art – Homo sapiens. Und trotz allem, was die Ministerien für Umwelt und Ökologie tun konnten (oder tun zu können behaupteten), nahm dieser Anteil von Jahr zu Jahr langsam zu.
Wann immer Lou daran dachte, und er dachte häufig daran, tat er es mit einem erbitterten Bewußtsein des Verlusts. Er mußte freilich zugeben, daß die menschliche Gegenwart unauffällig war. Solange die Fähre sich in einer Umlaufbahn befand, sah man überhaupt keine Zeichen menschlicher Besiedlung.
Die wuchernden Städte der chaotischen Dekaden des Industriezeitalters waren verschwunden. Aus der Luft konnte man den Verlauf der alten Autobahnen und Fernstraßen an dem Abdruck erkennen, den sie der Vegetation noch immer mitteilten, aber am Erdboden war von ihnen keine Spur mehr zu entdecken. Überhaupt sah man an der Oberfläche selten einzelne Menschen, was leicht zu falschen Vorstellungen Anlaß geben konnte, denn sie waren da, nur unter der Erde. Ein Milliardenheer von Termiten, arbeiteten und lebten sie in unterirdischen Fabriken und Stadtsystemen.
Die zahme Welt lebte von Sonnenenergie und war frei von Hader, aber das Ergebnis war Lou verhaßt.
Im Augenblick gelang es ihm allerdings, diese Empfindungen aus seinen Gedanken zurückzudrängen, denn nach monatelangen vergeblichen Bemühungen sollte er nun doch Adrastus sprechen. Um das zu erreichen, hatte er alle denkbaren Hebel in Bewegung setzen müssen.
Ino Adrastus war der Generalsekretär für Ökologie in den Vereinten Nationen. Es war ein wenig bekanntes Amt, aber Eingeweihte nannten es nicht ganz zu Unrecht den wichtigsten Posten auf Erden, denn sein Inhaber kontrollierte so gut wie alles und hatte weitgehende Machtbefugnisse.
Adrastus selbst sah die Dinge weniger dramatisch und machte daraus keinen Hehl. Er war ein eher unauffälliger, untersetzter Mann mit grausträhnigem, braunem Haar, dessen trüb gewordene blaue Augen aus fein gerunzelten, faltigen Lidern blinzelten.
»Die Wahrheit ist, daß ich kaum jemals eine Entscheidung treffe, die wirklich meine eigene ist«, sagte er zu Jan Marley. »Die Anordnungen, die ich unterzeichne, sind nicht wirklich meine. Ich unterzeichne sie, weil es psychologische Widerstände geben würde, wenn ich dies von Computern tun ließe. Aber wissen Sie, nur die Computer können diesen Arbeitsanfall bewältigen.
Die Behörde erhält jeden Tag eine unglaubliche Menge Daten aus aller Welt, die sofort bearbeitet werden müssen. Diese Daten betreffen nicht nur Geburten- und Sterbeziffern, Bevölkerungsverlagerungen, Produktions- und Verbrauchsziffern, sondern ebenso alle erkennbaren Veränderungen der Pflanzenwelt und der Tierpopulationen, sowie sämtliche Meßergebnisse des weltweiten Netzes von Stationen zur Überwachung der Luft, der Gewässer und des Bodens. Die Informationen werden sortiert, ausgewertet und gespeichert, und aus dem gesammelten Informationsmaterial beziehen wir die Antworten auf unsere Fragen.«
»Auf alle Fragen?« erkundigte sich Marley mit einem schlauen Seitenblick.
Adrastus lächelte. »Wir lernen, keine Fragen zu stellen, auf die es keine Antworten gibt.«
»Und das Ergebnis der ganzen Bemühungen«, sagte Marley, »ist ein ökologisches Gleichgewicht?«
»Richtig, aber ein besonderes ökologisches Gleichgewicht. Während der gesamten Geschichte unseres Planeten ist dieses Gleichgewicht aufrechterhalten worden, aber immer auf Kosten von Katastrophen. Nach vorübergehendem Ungleichgewicht wurde die Balance durch Hungersnot, Epidemie, Klimaveränderungen und dererlei wiederhergestellt. Jetzt erhalten wir das Gleichgewicht durch tägliche Korrekturen und Anpassungen,
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