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Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens

Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens

Titel: Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gütersloher Verlagshaus
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(emotionale Labilität), Extraversion (Nach-Außen-Gekehrtheit), Offenheit für neue Erfahrungen, soziale Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Jedes einzelne Merkmal wurde in einer fünfstufigen Skala erfasst. Fünf Jahre später suchten dann Forscher die Senioren erneut auf, um zu schauen, wie es ihnen in der Zwischenzeit ergangen war.
    Es zeigte sich, dass bei der Gewissenhaftigkeit jeder Skalenpunkt oberhalb des Durchschnitts das Sterberisiko um 34 Prozent senkte. Kein anderes Persönlichkeitsmerkmal kam auf einen ähnlichen Wert. Verträglichkeit und – man höre und staune! – Neurotizismus kamen immerhin noch auf 21 Prozent, doch das liegt in Relation immer noch weit hinter dem Wert der Gewissenhaftigkeit. »Unsere Studie zeigte eine unerwartete Überraschung und eine erwartete Bestätigung«, erklärt Studienleiter Paul Costa. »Die Überraschung war, dass neurotische Menschen relativ alt werden können, doch dafür unterstreicht sie die wesentliche Bedeutung der Selbstdisziplin für ein langes Leben.«
    Eine weitere Erhebung des National Institute of Aging, durchgeführt an fast 2400 Personen im Alter von 17 bis 98 Jahren, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Zwar stellte sich hier der Neurotizismus nicht als lebensverlängernd, sondern als leicht lebensverkürzend heraus, doch dafür senkte jeder überdurchschnittliche Punkt auf der Skala der Gewissenhaftigkeit das Sterberisiko um 27 Prozent.
    Bleibt die Frage, warum der Neurotizismus einmal lebensverlängernd
und zugleich lebensverkürzend sein kann. Dies liegt vor allem daran, dass er als Persönlichkeitsmerkmal ein ziemlich dehnbarer Begriff ist. Man kann ihn in einem weiteren Rahmen sehen, sodass auch Attribute wie Risikoscheu, Unsicherheit, Festhalten an bekannten Ritualen und starkes Unrechtsempfinden hineingeraten. Solche Merkmale aber können durchaus lebensverlängernd sein. So wird etwa ein risikoscheuer Mensch nicht bei Rot über die Ampel gehen, was sein Unfallrisiko erheblich reduziert, und er wird auch keine hochspekulativen Aktien kaufen, was ihm sehr viel Stress erspart. Fokussiert man hingegen den Neurotizismus auf mehr pathologische Merkmale wie Ängstlichkeit, Zwanghaftigkeit und emotionale Labilität, wird er sich als lebensverkürzend herausstellen. Denn wer etwa in permanenter Angst davor lebt, dass man schlecht über ihn redet, setzt sich selbst derart unter Druck, dass Körper und Seele am Ende Schaden nehmen. Zudem ist ein emotional labiler Mensch anfälliger für schwere Depressionen, denen man bekanntlich auch nicht gerade einen lebensverlängernden Effekt nachsagt.
    Für unseren Zusammenhang ist es zudem von Bedeutung, dass gerade Zwangsneurosen durchaus zu den Attributen einer lebensverlängernden Disziplin und Ordnungsliebe passen können. Denn Zwangsneurosen bedeuten in ihrem Kern nichts anderes, als dass jemand etwas immer und immer wieder tun muss, obwohl er es eigentlich gar nicht will. Ein solcher Hang kann in einem chaotischen Umfeld enorm hilfreich sein, sich diszipliniert einer Sache zu widmen. Oder auch, wenn der betreffende Mensch körperlich und psychisch weniger robust ist. So wäre der schwächliche, sensible Immanuel Kant wohl niemals zu einer langlebigen Säule von Aufklärung und Weltgeschichte geworden, hätte ihm seine Zwanghaftigkeit nicht die Hartnäckigkeit und Energie dazu geliefert. Wer jeden Tag zur gleichen Zeit durch Königsberg geht, sich jeden Abend auf die gleiche Weise ins Bett einrollt und jeden Morgen auf die gleiche Weise wecken lässt, zeigt sicherlich
die Merkmale einer handfesten Zwangsneurose. Doch gleichzeitig bekundet er damit einen Grad der Selbstdisziplin, der nicht nur die Aufklärung vorantreibt und eine mehrbändige Philosophie zustande bringt, sondern auch ihrem Verfasser zu einem langen Leben verhilft.
    Neurosen müssen also nicht zwangsläufig schwächen, sie können unter bestimmten Umständen auch stärken. Dann nämlich, wenn sie die Ordnung im Leben eines Menschen stabilisieren, an seinem »großen Wurf« mitarbeiten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn jemand sich an der Universität nicht als Partygänger vergaloppiert, sondern stattdessen in sein Studium verbeißt. Oder dann, wenn man jeden Morgen um sechs Uhr aufsteht, obwohl man bereits in Rente gegangen ist. Wer sich hingegen in seinen Zwangsneurosen verzettelt und aufreibt, wird darin umkommen. Dann beispielsweise, wenn er zehn Mal zurück in seine Wohnung rennt, um nachzuschauen, ob die Kaffeemaschine

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