Lass nur dein Herz entscheiden
schlimm. Miriam betrachtete sich im Spiegel, bevor sie ihr Apartment verließ. Sie durfte nicht mit Jay schlafen. Es würde dazu führen, dass sie wieder verwundbar wurde.
In der Eingangshalle traf Miriam ihre Freundin, die auch auf dem Weg zur Arbeit war. Claras Haar leuchtete in allen Regenbogenfarben, und sie hatte sich die Lippen schwarz geschminkt. In den vergangenen drei Wochen hatte sie sich nicht nur neue Piercings zugelegt, sondern sie kleidete sich auch noch ausgeflippter als sonst.
„Hallo.“ Claras strahlendes Lächeln wirkte gequält. „Schönes Wochenende mit dem Mistkerl gehabt?“
Miriam nickte. „Und du? Wie läuft es mit Brian?“
„Toll.“ Die Hand auf dem Türgriff, hielt Clara inne. „Nein, nicht toll. Und es ist allein meine Schuld. Ich … stoße Brian ständig von mir, damit er mich sattbekommt.“
Deshalb die neuen Piercings und das bunt schillernde Haar. „Warum tust du das?“, fragte Miriam.
„Weil ich nicht länger die Kontrolle habe“, erklärte Clara verzweifelt. „Ich bin nicht mehr ich selbst. Ich habe schreckliche Angst, dass er mich verlässt. Und dennoch versuche ich, ihn dazu zu bringen, genau das zu tun. Gestern Abend habe ich furchtbare Dinge gesagt. Sogar über seine Mutter, und sie ist so eine nette Frau.“
Bestürzt erkannte Miriam, dass sie gerade die echte Clara vor sich sah. Dass die Unbeschwertheit nur Fassade war. „Aber du hast ihn gern?“
„Das ist das Problem. Ich will niemanden lieben. Sobald man das tut, rennt man ins Unglück.“
„Brian ist verrückt nach dir. Er liebt dich.“
„Meine Eltern haben mich angeblich geliebt. Es hat meinen Vater nicht davon abgehalten, zu verschwinden, als ich sechs war. Und meine Mutter nicht, mich zu Pflegeeltern zu geben. Sie hat behauptet, sie werde nicht mit mir fertig. Ha! Mit einer Sechsjährigen? Und gleich darauf hat sie sich mit einem Kerl eingelassen, der drei Kinder hatte. Um die hat sie sich gekümmert.“
„Oh, Clara.“ Erstaunlich, da kannten sie sich schon so lange, und erst jetzt erzählte Clara von ihrer schlimmen Kindheit.
„Als ich acht war, hat sie mich zurückgeholt. Ihr neuer Typ hat getönt, wir seien eine Familie und er wolle mein Vater sein. Ich war ihm so dankbar und hatte unheimliche Angst, etwas falsch zu machen und alles zu verderben. Und dann ist er eines Abends in mein Zimmer gekommen, während Mom nicht zu Hause war …“
„Das ist schrecklich“, flüsterte Miriam und umarmte ihre Freundin fest. Mit tränennassen Gesichtern lösten sie sich voneinander. „Was ist danach geschehen? Hast du es deiner Mutter erzählt?“
„Sie wollte das nicht hören. Nichts sollte ihr perfektes neues Leben zerstören. Und er hat mir damit gedroht, man würde mich einsperren, wenn ich nicht den Mund halte. Niemand würde einem Kind glauben. Mit zehn hatte ich in der Schule eine Lehrerin, die das Gör durchschaut hat, zu dem ich geworden war. Ich habe ihr alles erzählt. Ein Polizeiarzt hat bestätigt, dass ich die Wahrheit sage. Der Kerl ist ins Gefängnis gekommen. Meine Mutter hat weiter behauptet, ich würde lügen. Sie hat mich total abgelehnt. Mir hat es nichts ausgemacht, wieder in einer Pflegefamilie zu leben. Alles war besser als das, was ich hinter mir hatte.“
„Es tut mir so schrecklich leid, Clara.“
Unter Tränen lächelte sie und zuckte die Schultern. „So ist das Leben. Das Positive war, dass ich entdeckt habe, wie intelligent ich bin. Auf der Universität habe ich erkannt, dass ich mein Leben selbst in der Hand habe. Ich beschloss, mir einen tollen Job zu suchen, und lebte fortan nach meinen eigenen Regeln. Dazu gehörte auch, keine festen Beziehungen einzugehen. Ich meine, wer braucht schon Männer?“
Sie würden beide zu spät zur Arbeit kommen. Doch Miriam wusste, dass sie Clara jetzt nicht daran hindern durfte, sich auszusprechen. „Und dann ist Brian auf der Bildfläche erschienen.“
Clara nickte. „Er hat mir gestern Abend erklärt, er habe vor einem Jahr entschieden, auf Sex zu verzichten, bis er die Richtige trifft. Seit er siebzehn oder achtzehn war, hatte er ständig Affären. Eines Tages wollte er plötzlich etwas anderes. Brian kann sehr durchsetzungsstark sein, wenn er einen Entschluss gefasst hat. Er ist sehr gut in seinem Job. Gestern Abend hat er mir gesagt, ich sei diese Frau.“
„Und wie hast du dich gefühlt?“ Eigentlich brauchte Miriam nicht zu fragen. Sie hatte ihrer Freundin ja sofort angesehen, wie verzweifelt sie an diesem
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