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- Lasst die Toten ruhen

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Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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hatte eine andere, leider nicht appetitlichere begonnen.
    Er hatte nämlich das helle Tuch, welches er turbanartig um den Kopf trug, herabgenommen und vor sich ausgebreitet, dann einen aus Holz grob geschnitzten Kamm aus der Tasche gezogen und sich ganz ungeniert und vor unsern Augen einer Beschäftigung hingegeben, welche zwar dem Orientalen nicht oft genug empfohlen werden kann, aber doch nicht gar so öffentlich und unbefangen vorgenommen werden sollte. Er schien nicht Mohammedaner zu sein, denn er trug sein volles Haar – und was für ein Haar! Und diesen Filz eggte er mit einer Vehemenz – doch genug davon!
    Als nun die ärztliche Operation einen interessanten Schluss zu erhalten schien, wollte er sich das zarte Schauspiel nicht entgehen lassen. Er erhob sich also auch und schüttelte das Tuch ganz einfach aus und zwar grad dahin, wo wir uns befanden.
    Ich stand natürlich im nächsten Augenblick draußen, und die andern waren auch bei mir. Halef meinte lachend:
    »Afw, Effendi; tehammül etmez-di daha hajle wakyt – verzeihe ihm, Herr; er konnte es nicht länger mehr aushalten!«
    Der Wirt erhielt seine Bezahlung, und wir verließen den nur für Insektensammler so interessanten Ort. Ein zweites Han, selbst wenn es eines gab, war wohl auch nicht einladender, und so waren die Gefährten mit mir einverstanden, als ich äußerte, die Nacht lieber im Freien zubringen zu wollen als in einem solchen Hause.
    Vor dem Ort draußen holten wir einen ärmlich gekleideten Mann ein, welcher neben einem zweiräderigen Karren einherging, der von einem kleinen magern Esel gezogen wurde. Ich grüßte den Mann und fragte, wie weit es bis Radowa sei, und ob es unterwegs ein Einkehrhaus gebe. Zu reiten hatten wir zwei Stunden; ein Han gab es unterwegs nicht. Wir kamen in ein Gespräch; er benahm sich sehr demütig. Es schien ihm Überwindung zu kosten, die Frage hervorzubringen:
    »Du willst in Radowa bleiben, Herr?«
    »Vielleicht halte ich bereits vorher an.«
    »Da müsstest du im Freien übernachten!«
    »Das tut nichts. Der Himmel ist das gesündeste Dach.«
    »Du hast recht. Wäre ich nicht arm und ein Christ, so würde ich dir mein Dach anbieten.«
    »Wo wohnest du?«
    »Gar nicht weit von hier; einige Minuten am Bach aufwärts steht meine Hütte.«
    »Und was bist du?«
    »Ziegelstreicher.«
    »Just weil du arm bist und ein Christ, werde ich bei dir bleiben. Ich bin auch ein Christ.«
    »Du, Herr?«, fragte er ebenso erstaunt als erfreut. »Ich habe dich für einen Moslem gehalten.«
    »Warum?«
    Er antwortete achselzuckend:
    »Die Christen sind hier alle arm.«
    »Auch ich bin nicht reich. Du brauchst dir keine Sorge zu machen. Fleisch haben wir bei uns. Wir werden von dir nichts erbitten, als warmes Wasser zum Kaffee. Hast du Familie?«
    »Ja, eine Frau. Ich hatte auch eine Tochter; aber sie ist gestorben.«
    Sein Gesicht nahm dabei einen Ausdruck an, der mich verhinderte, weiter zu fragen.
    Es könnte scheinen, als sei es unrecht von uns gewesen, dem armen Schlucker beschwerlich zu fallen; aber ich habe es so viele Male erlebt, dass grad der Arme ganz glücklich und stolz ist, wenn er an einem besser Gestellten Gastfreundschaft üben darf. Sehr arm allerdings war dieser Mann; das sah man seiner Kleidung an, welche nur aus einem Leinwandkittel und aus einer Hose desselben Stoffes bestand. Kopf und Füße waren bloß.
    Schon nach kurzer Zeit gelangten wir an einen Bach, welcher sich in die Strumnitza ergoss, und folgten dem Tale desselben aufwärts bis zu der Hütte, die neben einer tiefen Lehmgrube stand. Sie hatte nur die Tür- und eine Fensteröffnung, aber einen richtigen Schornstein. Und neben der Türe war eine Ziegelbank errichtet; hinter dem Häuschen befand sich ein kleiner Gemüsegarten, und an denselben schloss sich eine junge Baumpflanzung. Das machte einen guten, freundlichen Eindruck. Seitwärts waren lange Reihen von Ziegeln übereinandergeschichtet, um an der Luft zu trocknen, und eben jetzt kam die Frau aus der Lehmgrube. Sie hatte unser Kommen gehört, schien aber über die Anwesenheit so fremder Leute ganz erschrocken zu sein.
    »Komm herbei!«, sagte ihr Mann. »Diese Effendis werden heute bei uns bleiben.«
    »O Himmel! Du scherzest!«, rief sie aus.
    »Nein, ich scherze nicht. Dieser Effendi ist ein Christ. Du wirst ihn gern willkommen heißen.«
    Da erheiterte sich ihr Gesicht.
    »Herr, erlaube, dass ich mich wasche!«, sagte sie. »Ich habe in der Grube gearbeitet.«
    Sie trat an den Bach, wusch

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