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Lasst uns froh und grausig sein

Lasst uns froh und grausig sein

Titel: Lasst uns froh und grausig sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Allerstillsten, die wüste, ungezähmte Lockenpracht ihrer Nachbarin Nora, ihre wallenden Sommerkleider, die sich schon mal in der Fahrradkette verwickeln konnten und schließlich von schwarzen Ölflecken geziert wurden. Nora schien das nichts auszumachen. Heidelore missbilligte Noras unzweckmäßige Sportbekleidung, die ihr immer dann in den Sinn kam, wenn sie sich mit ihrer und Arndts Fahrrad-Funktionswäsche beschäftigte. Zunächst hängte sie sie, wenn sie verschwitzt war, zum Trocknen auf dem Dachboden auf, um sie dann nach unten in den Wäschekeller zu tragen, wo sie sie mit einem extra gekauften – und nebenbei: teurem! – Spezialwaschmittel wusch.
    Wenn Micha nur ein bisschen mehr nach ihrem Vater geraten wäre! Zielstrebig hatte dieser studiert, gerackert, Verantwortung nicht gescheut, Einladungen gegeben. Er war Richter geworden, hatte bis zu seiner Pensionierung eine hohe Position am Oberlandesgericht innegehabt. Heidelore war mehr als stolz auf ihn. Genaugenommen liebte sie auch Arndt nicht. Sie hielt ihn für einen wahrhaft intelligenten, klugen, erfahrenen und verlässlichen Mann, und als diesen hatte sie ihn geheiratet. Dass Arndt ihren im Keim noch erhaltenen Rest an Kreativität und Kunstverstand letztlich völlig vernichtete, indem er ihre Fähigkeit, Pläne zu machen und einzuhalten, stärkte und perfektionierte, kam ihr nie in den Sinn. Manchmal sagte ihre Mutter etwas in der Richtung. Doch ihre Mutter litt an Altersdemenz. Mit ihr konnte man nicht mehr reden, fand Heidelore, und in einer schwachen, vorsichtigen Erinnerung gestand sie sich ein, niemals mit ihrer Mutter tatsächlich geredet zu haben.
    Sie seufzte, ging ins Haus und verschloss fest die Terrassentür, woran Arndt sie jedesmal gewissenhaft erinnerte. Wir wollen die Hitze doch nicht ins Haus lassen.
    Im Wohnzimmer überprüfte sie kurz die Anordnung der Brücken auf dem grünen Teppichboden. Arndt hatte bestimmt, dass sie in einem genau austarierten Winkel zu Möbeln und Fenstern drapiert werden sollten, und Heidelore hatte das sehr vernünftig gefunden. In der Küche, wo sie sich ein Glas Wasser einschenkte, roch es muffig nach dem Mittagessen, aber ein kurzer Blick auf die Uhr sagte Heidelore, dass es noch nicht an der Zeit war zu lüften. Arndt legte Wert darauf, dass das Küchenfenster erst geöffnet wurde, wenn die Temperaturen im Freien nicht mehr über 22 Grad lagen.
    Emma strich zurückhaltend um ihre Füße. Der Hund war wahrhaftig wohlerzogen, nicht wie Noras kaltschnäuziger Spaniel mit den Flatterohren, der wild bellend am Gartenzäunchen entlangraste, sobald sich Zweibeiner oder Vierbeiner näherten. Kein Wunder, dachte Heidelore, bei der Erziehung. Emma war von ihr früh an Zeiten gewöhnt worden. Emma kannte ihren Fressplan genau, und sie verlangte nicht, außerhalb dieser Zeiten Futter oder Wasser zu bekommen. Es schien, als ob Emma in ihren braunen Augen das Begreifen trüge, dass es ohnehin sinnlos sei, zu unvorhergesehenen Momenten etwas zu verlangen. Im Übrigen hätte das die Gassi-Termine verschoben. Nur gestreichelt wurde Emma unabhängig von der Uhr.
    Davon, dachte Heidelore, während sie sanft durch das goldbraune Fell fuhr, sollte sich Norman einmal eine Scheibe abschneiden. Norman war Diplomat geworden und lebte in Uruguay mit Frau und Kindern. Er verdiente ansehnlich, obwohl er Heidelores Meinung nach zu Faulheit neigte. Die junge Familie hatte Personal für Haus und Garten und brauchte sich um nichts anderes als um ihre Kinder zu kümmern. Ihren Beruf als Dolmetscherin übte die Schwiegertochter nach wie vor aus, was Heidelore ehrlich bekümmerte. Sie war der Ansicht, dass Norman mit seinem erklecklichen Gehalt für seine Familie zu sorgen hatte! Heidelore verspürte einen kurzen Anflug von Betrübnis. Sie selbst hatte keinen Beruf, denn Arndt hatte das nicht für nötig gehalten. Und schließlich verdankte sie Arndt alles. Ihre Familie, das Haus, ihren Status, ihr ganzes klug organisiertes, vernünftiges Leben, in dem weder Zeit noch Energie verschleudert wurden.
    Heidelore klopfte Emma ein letztes Mal auf das runde Hinterteil und ging in den Keller, um sich die Fahrradfunktionswäsche anzuziehen. Sie packte zwei Dosen Weißbier in die Satteltaschen, schloss das Haus ab, sich kurz von Emmas traurigem Nimm-mich-mit-Blick verabschiedend, aber natürlich gebärdete der Hund sich nicht, er zog sich klaglos, wie es sich gehörte, auf seine Matte zurück.
    Während sie die Laurenzistraße hinunterrollte, warf

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