Last Date
vorsichtig hin, gab ihr mit der flachen Hand das Signal zum sitzen bleiben und rannte aus der Küche in den Flur, Andreas, nach kurzer Atempause wieder einsetzendem Kreischen folgend. Benny sah sie in einer völlig verdrehten Position im Wohnzimmer neben einer Tür am Boden hocken, in beide vor das Gesicht gehaltenen Hände schreiend. Er rannte auf sie zu und versuchte vergeblich sie zu beruhigen. Dann stand er auf und überlegte, ob er als erstes im Nebenzimmer nachsehen sollte, was Andrea so schrecklich verstört hatte, oder zurück in die Küche gehen sollte, um die Polizei und eventuell einen Arzt für die beiden Frauen zu rufen. Erst Stunden später, bei der Vernehmung durch die Polizei, würde er sich rückblickend an diesen Moment erinnern, dass er die Tür nicht hätte öffnen müssen um nachzusehen, was sich in dem Raum befand. Er hätte es ahnen müssen, da er selbst nun auch den von den beiden Frauen beschriebenen Geruch, so dicht vor der Tür, mehr als deutlich wahrnahm. Aber es war eine Mischung aus Angst, Neugier und Beschützerinstinkt, die ihn veranlasste, einen Schritt in das kleine Schlafzimmer zu wagen. Und obwohl er nur kurz hineinsah, brannte sich der Anblick, der sich ihm bot, unwiderruflich in sein Gedächtnis ein.
Ihre gemeinsame Freundin Shanaya lag rücklings, nackt, mit mehreren Seilen an alle vier Metallpfosten gefesselt, auf ihrem Bett. Ihr linkes Handgelenk war vom Seil fast völlig durchtrennt worden und ihr Körper mit kleinen Schnitten übersät. Das ganze Bett schien sich dunkelrot gefärbt zu haben. Überall war Blut. Sogar an den Wänden. Benny musste unwillkürlich an das einzige Mal denken, als er als Zwölfjähriger seinen Großeltern beim Schlachten helfen durfte, und es seine Aufgabe gewesen war, die Masse für die Blutwurst durchzumengen. Er erinnerte sich daran, wie ihm durch diesen bestialischen Gestank schlecht geworden war und die Erwachsenen ihm lachend eine Klammer auf die Nase gesetzt hatten, damit er überhaupt weitermachen konnte. Jetzt hätte er gern wieder so eine Klammer gehabt.
Als er der Toten in die weit aufgerissenen Augen sah und erkannte, dass das linke Auge mit etwas scharfem durchtrennt worden und die herausgelaufene Flüssigkeit an ihrer Wange getrocknet war, fing er zu würgen an und konnte sich gerade noch rechtzeitig zur Toilette begeben, wo er sich erbrach.
Knapp sieben Minuten, nachdem Benny die Notrufnummer gewählt hatte, waren die ersten Beamten der Polizei eingetroffen, die nach dem Fund der Leiche als erstes Benny, Andrea und Christiane aus der Wohnung heraus in den Hausflur baten, damit sie am Tatort nichts mehr berühren konnten. Weitere fünfzehn Minuten später war ein Team von der Spurensicherung und die kurz vor ihrer Pensionierung stehende Kommissarin Annemarie Reinig vor Ort. Die Kommissarin ging vorsichtig durch die Wohnung und ließ sich nebenbei von einem der bereits anwesenden Polizisten den derzeitigen Stand erläutern. In dem Moment, als sie durch die geöffnete Tür in das Schlafzimmer sah und einen eigenen Eindruck von den Geschehnissen bekam, hörte der junge Polizist auf zu reden. Wortlos drehte sich Reinig mit ernstem Blick und zusammengekniffenen Augen zu ihm um. Sie wusste nicht, ob er aus Rücksicht auf sie verstummte, eventuell nahm er an, dass sie durch diese Bilder geschockt sei, oder ob er selbst schon einen Blick in das Zimmer geworfen hatte und sprachlos an diesen Moment zurückerinnert wurde. Nach wenigen Sekunden, er reagierte noch immer nicht, verlieh sie mit einer leiernden Handbewegung und einem einzigen Wort an ihn ihrer Ungeduld Ausdruck. „Weiter!”
Der Polizist sah sie verunsichert an. „Ähm, Entschuldigung, ich wollte Ihnen nur einen Moment Zeit geben. Weil ich vorhin ...”
Sie unterbrach ihn kühl. „Hören sie mir kurz zu, ich wiederhole mich ungern. Zeit ist das Einzige, was wir nicht haben. Ich noch weniger als Sie. Fahren Sie also fort.”
Der Polizist nickte kurz und berichtete ihr von den drei Freunden der Toten, die in der Zwischenzeit in die gegenüberliegende Wohnung gebracht worden waren. Die dort wohnende Rentnerin hatte nach mehrmaligem Klingeln geöffnet und sich sofort bereit erklärt, Kaffee zu kochen und die drei vorübergehend bei sich aufzunehmen, bis sie von einem Psychologen betreut, und zur weiteren Vernehmung zum Polizeirevier abgeholt würden.
Kommissarin Reinig steckte ihren Kopf noch einmal kurz zur Tür des Schlafzimmers hinein, um auch einen Blick in die Ecken des
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