Last days on Earth: Thriller (German Edition)
flammten Scheinwerfer, die einen Gewerbehof in kalkiges Licht tauchten. Außer ihren Schritten war nichts zu hören. Aus der Ferne wehten Fetzen von Musik, es roch nach Brackwasser, über allem lag das stete Brummen von der Autobahnbrücke. Irgendwo heulten Wölfe – wahrscheinlich war hier ein beliebter Treffpunkt für junge Werwolfrüden.
Es war ein endlos langer Schlauch von Straße, und es dauerte einige Minuten, bis sie das Grundstück fanden. Karla musterte die rostzerfressenen Containergebäude. Eine Speditionsfirma.
Raoul kniete auf dem Boden und zeichnete eine Sigille in den Staub. Karla sah, wie er mit seinem Stab eine Beschwörung wob. Sekundenlang hing die Zeichnung wie ein Geisterbild aus hellen Linien in der Luft zwischen ihnen, dann verblasste sie. Raoul atmete aus und zerstörte die Zeichnung mit dem Fuß.
Karla hatte sie im gleichen Augenblick vergessen. Sie sah zu Raoul auf. »Ich kann es tun, wenn du mir sagst, was es bewirkt.«
Er zog eine Braue empor. »Du kannst was tun?«
»Die Sigille.« Karla verschränkte die Arme. »Tora-san hat mir gezeigt, wie man sie vergisst.«
Raoul lachte auf. »Das hat sie? Eben mal zwischen Tür und Angel? Dafür habe ich drei harte Jahre gebraucht.«
Karla griff nach seinem Arm und drückte ihn. »Du hast dir die falsche Schule ausgesucht.«
»Ich will den Kerl finden, ohne dass er zuerst auf uns aufmerksam wird.« Er wandte den Kopf und lauschte. Dann fuhr er fort: »Die Sigille dient dazu, ihn zu orten und für ein paar Minuten aus der Zeit zu nehmen. Ich habe einen kleinen Schnüffelzauber, der uns verraten wird, wo sich ein organisches Wesen aufhält.«
Karla nickte. »Ich löse die Sigille aus, wenn wir ihn gefunden haben. Einverstanden?«
Raoul nickte und blickte auf den Gebäudekomplex. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder, sah zum Himmel, klopfte mit dem Fuß einen komplizierten Rhythmus und bewegte die Hände dazu.
Dann löste sich ein Lichtschimmer von seiner Hand, breitete sich aus und legte sich wie ein geisterhaftes Netz über die Container vor ihnen. Karla sah fasziniert zu, wie die einzelnen Maschen nacheinander heller schimmerten und wieder erloschen. Das Netz löste sich auf, zog sich zusammen und blieb schließlich als kleiner Nebelfleck an der Wand eines Containers hängen.
»Dort?«, flüsterte sie. Raoul schnaufte und stemmte die Hände auf die Knie. Er nickte.
»Saubere Arbeit.« Sie klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Kleiner Schnüffelzauber«! Das war die Untertreibung des Jahres gewesen, dachte sie dabei.
Karla wartete, bis Raoul sich wieder erholt hatte, und lief dann voraus. Im tiefen Schatten neben der Metallwand blieb sie stehen und beruhigte ihren Atem. Sie konnte immer noch den Rest des Zaubers sehen, der an der abblätternden Farbe haftete. In dem Raum dahinter hielt sich möglicherweise der Mann auf, der ihnen die Killer auf den Hals gehetzt hatte.
Karla legte die Hände auf die Wand und spürte den hässlichen, scharfen Schwingungen des Metalls nach. Das Metall behinderte sie bei der Sondierung des Raumes, aber dennoch hätte sie zumindest spüren müssen, ob sich im Inneren des Containers ein Lebewesen aufhielt. Sie wandte Raoul den Blick zu und schüttelte den Kopf.
Er lehnte sich neben sie, berührte mit dem Vogelkopf seines Stabes die Wand und flüsterte ein paar Silben. Der Vogelschnabel flammte grellweiß auf und erlosch wieder. Es roch nach Hitze und glühendem Metall, und ein Rauchwölkchen stieg von einem kleinen Loch auf, durch das schwaches Licht aus dem Raum dahinter in die Nacht fiel.
Raoul wartete, bis die Ränder des Loches sich abgekühlt hatten, und blickte hindurch. Einen Moment lang stand er reglos da, dann hörte Karla ihn tonlos pfeifen. Er löste sich von der Wand, sah sich um, deutete auf die Tür des Containers. Karla folgte ihm schweigend. Was auch immer er gesehen hatte, es hatte ihn wütend gemacht. Seine Schultern in der dunklen Jacke waren angespannt.
Raoul stieß die Tür auf und trat ein. Er versperrte Karla die Sicht, aber sie hörte ihn fluchen. Dann stand auch sie in dem Raum und sah sich um: Da waren mehrere billige Schreibtische, Aktenschränke, ein Sicherungskasten, Lampen und Regale mit Warenproben, an den Wänden hingen Stadtpläne, eine Landkarte, ein Dienstplan, mehrere Plakate und ein Haufen Haftnotizen.
Raoul kniete sich hin. Jetzt konnte sie sehen, was ihn so wütend gemacht hatte: zwischen zwei Schreibtischen lag jemand reglos auf dem Boden.
Sie kniete
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