Last days on Earth: Thriller (German Edition)
du mich jetzt schon dreimal gefragt, Langer«, sagte sie. »Was ist los? Altersbedingte Ausfallerscheinungen?«
Raoul erwiderte ihren Blick nicht. Mit finsterer Miene sortierte er weiter die Notizen vor sich. Karla wartete.
Schließlich seufzte sie und lehnte sich zurück, um wieder aus dem Fenster zu blicken. Ihre Finger schabten sacht über die Narben ihrer Armbeuge. Es war Zeit. Morgen, spätestens übermorgen war ein Termin mit Maurizio fällig. »Wenn das Gespräch mit Felsenstein auch nichts bringt, steige ich aus«, sagte sie. »Wir vergeuden unsere Zeit.«
Raoul hob den Kopf. »Und der Weltuntergang?«
Karla verzog das Gesicht. »Manchmal frage ich mich, ob wir einem Hirngespinst nachjagen. Erinnerst du dich an all die Katastrophen, die zum Jahrtausendwechsel über uns hereinbrechen sollten? Das morphische Feld war damals so stark, dass die Zahl der Vulkanausbrüche, Erdbeben, Stürme und technischen Katastrophen wirklich messbar angestiegen ist. Als die Welt dann nicht unterging, war alles wieder friedlich.«
Raoul starrte sie an. »Das war etwas völlig anderes. Du selbst hast mich davon überzeugt, dass dieses Ding hier schon seit Jahrzehnten vorbereitet wird.« Er griff nach einem der Ordner, schlug ihn auf und hielt ihn Karla unter die Nase. »Da. Die neuesten Meldungen. Ein Hurrican hätte um Haaresbreite New York zerstört. Wenn die vereinigten Hexen und Magier der USA sich nicht an der Ostküste versammelt und dafür gesorgt hätten, dass das Ding abdreht, dann wäre die Apokalypse dort schon heute Vergangenheit. In Paris brennen die Banlieues, Vandalen haben den Louvre gestürmt und unschätzbare Werte vernichtet. Rund um den Globus geht die Post ab. In den USA muss inzwischen das Militär der Polizei beistehen, damit sie die Ausschreitungen in den Griff bekommen. Russland hat seine Grenzen geschlossen und Italien vor ein paar Stunden den Ausnahmezustand ausgerufen!«
Karla wandte den Blick ab. »Ja, sicher«, sagte sie müde. »Raoul, ich weiß einfach nicht weiter. Mein Konto ist leer, ich bin nach wie vor ohne Job und müsste mich dringend um mein Leben kümmern.«
»Na, dann freu dich doch. Wahrscheinlich brauchst du dir über das nächste Jahr keine Gedanken mehr zu machen«, knurrte Raoul und warf den Ordner auf den Tisch. Er sprang auf und ging hinaus.
Bis zum Abend gingen sie einander aus dem Weg. Karla lag auf ihrem Bett und ließ die Gedanken wandern. Es war still unter dem Dach. Die kaum jemals abreißende Geräuschkulisse des Autoverkehrs nahm sie schon seit Jahren nicht mehr bewusst wahr. Auf dem Dach kratzten Vogelfüße, eine Taube gurrte. Auf dem Speicher nebenan raschelte etwas – Mäuse? –, und gelegentlich hörte Karla, dass etwas leise summte oder klickte. Sie versuchte, das Geräusch einzuordnen, aber noch während sie darüber nachdachte, schlief sie ein.
Es war dunkel im Zimmer, als die Türklingel sie weckte. Sie fuhr hoch, einen Augenblick lang orientierungslos. »Ja?«, rief sie und kämpfte sich hoch. »Was ist?«
»Bist du angezogen?«, kam gedämpft die Antwort.
Karla hockte auf der Bettkante und schüttelte die Benommenheit ab. »Wie viel Uhr ist es?« Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Tür. Raoul stand im Flurlicht, und Karla starrte ihn benommen an. »Wow!«, sagte sie dann. »Ich bin geblendet. Treten Sie ein, edler Magus.«
Raoul ließ das Monokel aus dem Auge fallen, klemmte den Zylinder in die Armbeuge und grinste. »Du siehst auch entzückend aus, Holdeste. Aber ich fürchte, der gestrenge Horace wird dich so nicht einlassen.« Er bürstete mit einer affektierten Handbewegung über das seidenglänzende Revers seines Fracks und rümpfte die Nase.
Karla lachte und winkte ihm, er solle sich setzen. Sie verschwand im Bad. »Ich hab verschlafen«, rief sie. »Aber keine Sorge, ich bin schnell.«
»Das hoffe ich.« Sie hörte, wie Raouls Stab gegen ein Möbelbein klopfte. »Ein wenig Verspätung ist aber in Ordnung, dann erzielen wir den gewünschten großen Auftritt.«
Karla pfiff vor sich hin, während sie sich ankleidete und frisierte. »Raoul?«, rief sie. »Seit wann trägst du Augengläser?«
Sie hörte sein tiefes Lachen. »Eine kleine Vorsichtsmaßnahme. Das Monokel ist aus Elfenkristall.«
Karla löschte das Licht im Bad und trat ins Wohnzimmer. Raoul stand neben der Tür und sah ihr entgegen. Er machte eine großartige Figur im Frack. Sein sauber gestutzter schwarzer Bart glänzte über der blendend weißen Hemdbrust,
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