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Last days on Earth: Thriller (German Edition)

Last days on Earth: Thriller (German Edition)

Titel: Last days on Earth: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Frost
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war silbern durchzogen. Das und die Lesebrille, die sie inzwischen gelegentlich benutzte, waren die einzigen Anzeichen des Alters, die Raoul an ihr feststellen konnte. Tora-san sah immer noch genauso aus wie vor dreißig Jahren, als sie den kurz zuvor verwaisten Jungen zu ihrem Lehrling gemacht hatte.
    »Du siehst müde aus«, sagte sie. »Was bedrückt dich? Der Auftrag, den ich dir gegeben habe?«
    Er brauchte einen Moment, bis er wusste, wovon sie sprach. Dann schüttelte er den Kopf. »Diese Raubsache, für die du mir das MID-Mädchen auf den Hals gehetzt hast? Das ist doch ein Auftrag für einen Anfänger, Tora-san. Ich weiß nicht, was du daran so bemerkenswert findest.«
    Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Sie stellte die Tasse ab und zupfte an ihrem hellen Schal. Sie trug europäische Kleidung, eine bequeme Hose und eine Hemdbluse. Wahrscheinlich war sie auch vor Kurzem erst von einem Termin zurückgekommen und hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich umzuziehen.
    »Also, wenn es das nicht ist – was ist los?« Sie griff nach ihrem Zigarettenetui. Bevor Raoul sie ihr anzünden konnte, hatte sie schon selbst das schwere silberne Feuerzeug aufgeklappt und blies einen zartblauen Rauchfaden in die Luft.
    Raoul suchte nach einer bequemen Haltung für seine langen Beine und fand sie nicht, also schob er das Sitzkissen beiseite und saß auf der blanken Matte. »Ich hatte Lust auf ein Gespräch«, sagte er defensiv. »Wie in alten Zeiten.«
    Sie legte die Wange in die hohle Hand. Zigarettenrauch kräuselte sich zur Decke. Ihre Augen, scharf und dunkel, musterten ihn. »Was hältst du von dem Auftrag?«
    »Kinderkram.«
    Tora nickte nachdenklich. »Ich habe hier etwas für dich. Fang!« Er schnappte nach dem, was sie ihm zuwarf. Es war eine dieser mikroskopisch klein beschriebenen Schriftkapseln, mit der sie auch im Dienst ihre Mitarbeiter immer zu quälen pflegte.
    »Überlass das Brad«, sagte sie angesichts seiner missmutigen Miene. »Das ist kein Problem für … Oh. Da liegt der Hund also begraben.« Sie stieß mit angewiderter Miene Zigarettenrauch durch die Nasenlöcher. »Wo ist er?«
    »Fort«, erwiderte Raoul kurz. Er hatte sich eigentlich bei ihr Rat holen wollen, vielleicht auch Trost, aber ihre beinahe amüsierte Miene trieb ihm den Impuls aus. Spott war das Letzte, was er jetzt vertragen konnte.
    »Fort«, wiederholte sie. »Gut. Wann, wie, warum?«
    Raoul seufzte. Er berichtete, was sich zugetragen hatte.
    Tora lauschte konzentriert und nickte, als er geendet hatte. »Und jetzt?«
    Er hob die Schultern.
    Tora schüttelte ungeduldig den Kopf und drückte die Zigarette aus. »Das ist keine Antwort«, sagte sie scharf. »Was willst du?«
    »Ich will, dass er zurückkehrt. Was sonst?«
    Sie sah ihn an. Nickte resigniert. »Wo stehst du?«
    »Am Abgrund«, entfuhr es ihm. »Tora-san, was willst du hören? Du weißt, wie lange ich ihn schon beherberge.«
    »Ich weiß es«, bestätigte sie. »Und ich meine mich zu erinnern, dass ich es war, die dir abgeraten hat, ihn zu bewirten. Raoul?«
    Er senkte den Blick auf seine Hände. Sie hatte ihm abgeraten, sogar sehr energisch, aber er hatte damals dennoch seinen Kopf durchgesetzt. Bereute er es?
    »Nein«, sagte er schließlich. »Ich bereue es nicht, Okā-san.«
    Die Anrede »Mama« brachte sie wie erwartet zum Lächeln. Sie beugte sich vor und klopfte auf seine ineinander verklammerten Finger. »Entspanne dich, Raoul! Wenn du es nicht bereust, ist es gut. Auch wenn ich dir nach wie vor raten würde, dich auf ein Leben ohne Daimon einzurichten. Ich finde es überaus bedauerlich, dass ein so talentierter Junge wie du ein vorzeitiges Ende nimmt.«
    Das war klar, nüchtern und brutal. So kannte und schätzte er Tora. Er nickte knapp.
    Ihre nächste Frage überraschte ihn. »Darf ich dich sondieren?«
    Er riss die Augen auf, einen Moment lang sprachlos. Das war nichts, worum ein Magier einen anderen bat. Er zögerte. Sie wartete geduldig. Raoul gab sich einen Ruck und legte seine Hände in ihre. »Bitte, Roshi.«
    »Nenn mich nicht so«, sagte sie automatisch, aber ihre Konzentration lag anderswo. Sie fing seinen Blick und hielt ihn fest. Ihm wurde schwindelig. Dann verlor er jedes Gefühl für Zeit und Raum.
    »… etwas zu trinken?«
    Sein Blick war verschwommen. Toras Gesicht tanzte vor ihm auf und ab. Er schluckte und schloss die Augen. Wenig später fühlte er, wie ein Glas in seine Hand gedrückt wurde. Kühle Flüssigkeit schwappte über und

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