Last days on Earth: Thriller (German Edition)
Jetzt war er irgendwo, wo auch immer sich Daimonen herumtreiben mochten, wenn sie nach ihrem Lebenselixier gierten. Informationen. Wissen. Macht.
Raoul erwachte aus einem kurzen, unerquicklichen Schlummer und stand auf. Er schnappte sich seine Lederjacke und rannte die Treppe hinunter. Die frische, kalte Luft machte ihn mit einem Schlag hellwach. Es war tief in der Nacht, aber immer noch waren Leute unterwegs, die aus der Stadt kamen – von einer Theateraufführung oder einem Restaurantbesuch – oder dahin unterwegs waren. In den Diskotheken und Nachtclubs fing der Abend jetzt erst an.
Felsenstein. Quass hatte den Namen erwähnt. Er sammelte Bücher, genau wie der Drache. Und hatte es nicht »von Felsenstein« geheißen? Raoul blieb stehen, die Hand mit seinem Autoschlüssel ausgestreckt. Norxis von Felsenstein. Natürlich. Das war der Bursche! Und er war ein verdammter Drache und, wenn er sich nicht irrte, irgendein hohes Tier im internationalen Bankengeschäft.
Raoul öffnete die Wagentür und lachte in sich hinein. Das war so, als würde man sagen, der Oberbefehlshaber der NATO wäre ein hohes Tier im Militärgeschäft. Die Banken wurden allesamt von Drachen kontrolliert. Ebenso der größte Teil des Versicherungsgeschäftes und natürlich die Börse. Drachen hatten eine naturgegebene Affinität zu Wertpapieren, Gold, Diamanten und allem, was mit Kreditgeschäften zu tun hatte. Wer sich heute Geld lieh, erhielt es in letzter Instanz von einem Drachen.
Was hatte einen von diesen gierigen Schatzhütern dazu gebracht, einem Museum eine wertvolle Sammlung zu stiften? Das war so untypisch für einen Drachen, als hätte man ihn mit vorgebundener Schürze beim Kuchenbacken erwischt.
Kurz entschlossen startete Raoul den Motor und steuerte den Wagen zum Zentrum. Quass war sicher noch auf den Beinen.
Horace, der unglaublich distinguierte Butler Quass von Deyens, öffnete ihm die Tür. »Wann schlafen Sie eigentlich, Horace?«, fragte Raoul.
Der Butler nahm ihm die Jacke ab, legte sie sorgfältig über den Arm und erwiderte mit unbewegter Miene: »Im Dezember, Sir. Ich melde Sie Herrn von Deyen.«
Raoul lachte und ließ sich zum kleinen Salon führen. Hier setzte er sich in einen der bequemen Besuchersessel und schlug die Beine übereinander. Es kam selten vor, dass er Quass unangemeldet überfiel. Möglicherweise würde er wieder gehen müssen, ohne den Drachen gesehen zu haben. Es war ein wenig unverschämt, einfach so hereinzuschneien, aber er hoffte, dass Quass, der von Natur aus neugierig war, ihm das nachsehen würde.
»Raoul, was für eine originelle Überraschung«, hörte er die sanfte Stimme des Drachen. Die Flügeltür zum Nebenzimmer wurde geöffnet, und Horace bat ihn mit einer kleinen Verbeugung hinein.
»Ich komme wegen deiner gestohlenen Bücher«, erwiderte Raoul und dankte mit einem Nicken für den angebotenen Platz am Kaminfeuer. »Ich störe dich doch nicht?« Auf dem Boden lagen aufgeschlagene Bücher, ein Stapel türmte sich schief neben einem niedrigen Tisch auf, eine Flasche Wein und ein halb volles Glas standen unter dem drohenden Erdrutsch und schienen in Erwartung des Unheils enger zusammenzurücken.
Horace brachte schweigend ein zweites Glas, schenkte Raoul ein und ging wieder hinaus, wobei er leise die Tür hinter sich schloss.
»Du kommst mir gerade recht. Ich fing an, mich zu langweilen.« Der Drache legte die Flügel eng an den Leib und kauerte sich zusammen, um mit Raoul in Augenhöhe zu sprechen. »Was beunruhigt dich, mein Freund?«
Raoul nippte an seinem Wein und runzelte die Stirn. »Wirke ich beunruhigt?«
»Nur, wenn man dich gut kennt.« Quass verschränkte die Tatzen und musterte Raoul. »Du bist wieder vollständig, wie ich rieche. Wie geht es dir?«
Raoul schnüffelte unwillkürlich. »Du kannst Brad riechen?«
Quass lachte. »Er ist ein Daimon. Sie stinken erbärmlich, Raoul. Ihr Menschen habt einfach keine Nase.«
»Das ist ja …« Raoul stellte das Glas ab. »Quass, das wusste ich nicht. Belästige ich dich also all die Jahre mit meinem …«
»Daimonengeruch?« Der Drache hob sein Glas an den Mund. »Das ist nicht schlimm. Menschen riechen auch nicht sonderlich gut. Autos stinken schrecklich. Werwölfe …« Er schüttelte sich unwillkürlich. »Die ganze Stadt riecht wie ein riesiger Abfallhaufen. Wenn unser Geruchssinn nicht sehr schnell abgestumpft wäre, könnten wir es in der sogenannten Zivilisation keine Stunde aushalten.« Sein Blick verschleierte
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