Last days on Earth: Thriller (German Edition)
festen Druck seiner Finger. »Ich glaube dir, und ich glaube auch, dass es dich Beherrschung gekostet haben muss.«
»Du hast keine Ahnung«, erwiderte er leise. »Keine Ahnung, meine Freundin.«
Karla lehnte sich in die Kissen zurück, die er ihr in den Rücken gestopft hatte. Sie war so müde, als hätte sie eine Woche nicht geschlafen. Zu schwach für eine Auseinandersetzung, das musste bis morgen warten. »Komm her, mein Dichter«, sagte sie und hob einladend den Arm. »Sag mir ein paar Sonette auf, das beruhigt uns beide.«
Sie musste eingeschlafen sein. Ihr Kopf lag an seiner Schulter, und sein Arm stützte sie. Karla murmelte eine Entschuldigung und löste sich aus seiner Umarmung. Kit sah nicht weniger müde aus, als sie sich fühlte. Er beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn.
»He«, sagte Karla leise, »ich bin nicht aus Porzellan. Entweder du küsst mich ordentlich, oder ich ziehe mich an und gehe nach Hause.«
Kits immer noch besorgte Miene hellte sich auf. Er lachte und stützte sich auf die Ellbogen, küsste sie erst zögernd, dann mit steigender Leidenschaft. Schließlich schob Karla ihn fort und gab ihm einen Klaps auf die Wange. »Schon besser«, sagte sie. »Für jetzt: Waffenstillstand. Wir sind beide angeschlagen. Aber morgen musst du mir ein paar Fragen beantworten, Kit. Das bist du mir schuldig. Oder …«
»Oder?« Sein Gesicht war ein heller Fleck in der Dunkelheit.
Die Vorhänge waren dicht zugezogen, kein Lichtschimmer drang ins Zimmer. Karla hatte kein Gefühl dafür, wie spät es war. Dämmerte schon der Morgen? Sie seufzte. »Oder wir sind für immer geschiedene Leute.«
Das Klingeln ihres Telefons weckte sie aus einem verworrenen Traum, in dem sie einer gestaltlosen Dunkelheit durch ein Labyrinth aus Mauern und Büchern folgte. Sie schrak hoch und glaubte noch im Auftauchen eine Ahnung zu erhaschen, wen sie dort verfolgte und wohin er unterwegs war.
Sie krabbelte aus dem Bett, tappte zum Stuhl, schüttelte die Jacke, bis das klingelnde Telefon herausfiel, und nahm das Gespräch an. »Ja?«, fragte sie schlaftrunken.
Einen Moment herrschte Stille am anderen Ende. Sie hörte das Rauschen der Æther-Verbindung und fragte sich, wie viele Daimonen auf ihrer unablässigen Jagd nach Informationen ihrem Gespräch zuhören mochten. Der Gedanke vertrieb den letzten Rest von Benommenheit. Sie hockte sich auf die Stuhlkante und krümmte ihre kalten Zehen.
»Magistra van Zomeren?«, fragte eine Männerstimme. Der Empfang war verzerrt, sie konnte die Stimme nicht gleich einordnen. »Am Apparat«, sagte sie deshalb nur und blickte zum Bett. Kit lag so unter den Decken vergraben, dass nichts von ihm zu sehen war außer einem Deckenhügel. Er schien tief und fest zu schlafen.
»Karla, störe ich? Es ist schon Mittag, ich dachte …«
»Raoul.« Karla gähnte und schielte auf die Uhr. Eins. »Alles prima, Sie haben mich nur aus dem Bett geholt. Wieso sind Sie schon so früh auf den Beinen? Hat Brad etwa seinen freien Tag?«
Sie hörte sein Lachen. Er hatte ein sympathisches Lachen, das fiel ihr nicht zum ersten Mal auf. Karla ertappte sich dabei, dass sie lächelte.
»Brad arbeitet«, erwiderte er. »Ich hatte gestern noch ein interessantes Gespräch. Ist die MID in der Lage, uns einen Termin bei einem ganz großen Tier zu verschaffen?«
»Wie groß?«
»Norxis von Felsenstein. Der Inhaber, Geschäftsführer und alleinig regierende Despot der Continentalen Banken- und Versicherungsgruppe.«
Karla pfiff leise durch die Zähne. Die CBVG. Einen größeren Fisch hätte Raoul kaum aus dem Teich fischen können. »Das ist unser Felsenstein?«
»Ebenjener. Und ich habe das Gefühl, dass da etwas ganz gewaltig stinkt. Wer hat alles Zugang zu der Sammlung Felsenstein?«
Karla schloss die Augen. »Soweit ich mich erinnere, derzeit nur die Kuratorin.«
»Wer verfügt oder verfügte vor dem Diebstahl über einen Schlüssel?«
»Der tote Wachmann. Die Kuratorin. Dieser Dr. Oberholz.« Karla schlug mit der Hand auf ihr Knie. »Enkidus eiserne Eier! Der frühere Besitzer der Sammlung?«
Raouls ferne Stimme lachte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er seine Sammlung dem Museum wirklich geschenkt hat. Sie ist unermesslich wertvoll. Ich habe mit jemandem gesprochen, der das beurteilen kann und der Felsenstein gut kennt. Er glaubt auch nicht an eine Schenkung.«
»Versicherungsbetrug?«, vermutete Karla.
Raoul antwortete nicht sofort. »Möglicherweise«, sagte er dann. »Aber wie
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