Last days on Earth
Stuhl standen Turnschuhe.
Das waren ihre Kleider. Die Hose hatte einen sauber geflickten Riss
unter dem linken Knie. Das Top stammte von einem Englandaufenthalt vor zwei
Jahren, und die Schuhe hatte sie im Winterschlussverkauf bei H&M erstanden.
Sie schüttelte den Kopf und setzte sich auf. Ihre Kleider. Jemand
hatte sie aus ihrer Wohnung geholt und hier auf diesen Stuhl gelegt, während
sie schlief. Der Gedanke beunruhigte sie kurz, aber dann schüttelte sie ihn ab.
Es war angenehmer, die eigenen Sachen tragen zu können.
Sie stand mit der Erwartung auf, dass ihr schwindelig werden würde,
aber ihre Befürchtung bewahrheitete sich nicht. Sie fühlte sich sogar
erstaunlich gut, wenn auch hungrig. »Ob es in diesem noblen Schuppen irgendwo
eine Küche gibt?«, fragte sie sich laut. Sie griff nach der Türklinke, einen
winzigen Moment lang besorgt, die Tür abgeschlossen zu finden, und trat in den
Korridor. Wenn es irgendwo etwas zu essen gab, dann wahrscheinlich im
Erdgeschoss.
Alle Lampen brannten, und die Fenster waren verdunkelt. Also war
noch Tag. Karla ging die Treppe hinunter und bewunderte die Schönheit des
Hauses und seiner Einrichtung. Ein echtes Palais. Der Princeps dieser Gens war
kein armer Mann.
In der Halle begegnete ihr ein älterer Mann in einer Livree. Er
nickte ihr freundlich zu und fragte: »Darf ich Ihnen behilflich sein, Frau van
Zomeren?«
Karla schluckte. »Danke, äh â¦Â«
»Adrian.«
»Herr Adrian â¦Â«
»Nur ⺠Adrianâ¹, bitte.« Er deutete auf
eine Tür. »Sie wünschen sicher zu frühstücken, gnädige Frau. Ich habe mir
erlaubt, im kleinen Salon für Sie zu decken.«
Der kleine Salon war ein dunkelgrün gestrichener, mit eleganten
Möbeln eingerichteter Raum, in dem Karla sich trotzdem sofort wohlfühlte. Sie
nahm am Tisch Platz, der mit weiÃer Tischdecke und blitzendem Silber wie für
ein Galamenü eingedeckt war â allerdings nur für eine Person.
Der Diener hob stumm silberne Hauben von Tellern und Platten,
schenkte ihr aus einer schweren Silberkanne heiÃen Kaffee in eine
Porzellantasse und servierte ihr dann Rührei und Toast. Karla blickte auf die
Karaffe mit frisch gepresstem Orangensaft, den Brotkorb, die Platte mit Käse
und Aufschnitt, die zart gebräunten kleinen Pfannkuchen, den Obstteller und die
Schälchen mit Konfitüre und sagte: »Wer soll das denn alles essen?«
Adrian deutete eine kleine Verbeugung an. »Mit den besten
Empfehlungen des Hausherrn. Sie müssen sich nach Ihren Strapazen stärken.«
Karla griff nach der Gabel. »Danke«, sagte sie. »Ich bin wirklich
hungrig.« Sie schob eine Portion von dem lockeren Rührei in den Mund und kaute.
»Das ist vorzüglich.« Ihr Blick wanderte zu Adrian, der reglos neben der Anrichte
wartete, auf der Warmhalteplatten und die Kaffeekanne bereitstanden. »Ah â
Adrian«, sagte sie unbehaglich, »ich kann mich selbst bedienen. Vielen Dank.«
Er verbeugte sich. »Wenn Sie noch etwas benötigen, klingeln Sie nach
mir.«
Karla atmete auf, als die Tür sich hinter ihm schloss. Eine gute
halbe Stunde später trank sie den letzten Schluck des wirklich ausgezeichneten
Kaffees und schob ihren Stuhl zurück.
Sie verlieà den Salon und sah sich in der Eingangshalle um. Die Tür
war fest verschlossen, ebenso die hohen Fenster. Nun gut, wenn wirklich noch
Tag war, wäre das Risiko auch zu groÃ, eine Ãffnung für das Sonnenlicht zu
lassen.
Karla vergrub die Hände in den Taschen ihrer Jacke und zog
unwillkürlich die Schultern hoch. Sie hasste das Gefühl, eingesperrt zu sein.
Ob sie den Diener rufen und ihn bitten sollte, ihr den Ausgang zu zeigen? Sie
kehrte um, aber noch ehe sie die Tür des Salons öffnen konnte, hörte sie, wie
eine ihr unbekannte Frauenstimme ihren Namen rief.
Eine dunkel gekleidete Frau mit aschblondem Haar war in die Halle
getreten und winkte ihr zu. »Frau van Zomeren«, wiederholte sie ein wenig
atemlos, »der Princeps möchte Sie sehen. Jetzt sofort.«
Karla nickte ergeben. »Und Sie sind �«, fragte sie ein wenig
verstimmt. Jeder hier im Haus schien sie zu kennen und zu wissen, wer sie war.
Ein unangenehmes Gefühl, wenn man selbst niemanden kannte.
Die Frau schlug die Hand vor den Mund. »Ich bitte um Verzeihung«,
sagte sie. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Aber
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