Last Lecture - die Lehren meines Lebens
ich das Auto bereits getauft hatte. Er wusste, es war okay.
Wenn ich die Kinder bei mir hatte, gab es nur zwei Regeln:
Erstens: Kein Rumgejammere.
Zweitens: Was wir auch tun, erzählt’s nicht eurer Mom.
Die zweite Regel ließ alles, was wir gemeinsam unternahmen, zu einem Piratenabenteuer werden. Selbst das Banalste bekam dadurch etwas Zauberhaftes.
An den meisten Wochenenden hing ich mit Chris und Laura nur in meiner Wohnung rum und ging mit ihnen bei Chuck E. Cheese Pizza essen. Manchmal machten wir eine Wanderung oder gingen ins Museum. Hin und wieder mieteten wir uns in einem Hotel mit einem Swimmingpool ein.
Besonders liebten wir es, zusammen Pancakes zu backen. Mein Vater hatte oft gefragt: »Warum müssen Pancakes
eigentlich immer rund sein?« Das pflegte ich nun auch zu fragen, mit der Folge, dass unsere Pfannkuchen zu höchst sonderbaren Tiergestalten wurden. Ich mag dieses glitschige Medium, das aus jedem Pfannkuchen einen Rorschach-Test macht. Wenn Chris oder Laura sagten: »Das ist aber nicht das Tier, das ich wollte«, dann konnten wir uns den Pancake genauer betrachten und uns Geschichten über dieses seltsame Wesen ausdenken.
Ich sah Laura und Chris zu tollen Erwachsenen heranwachsen. Meine Nichte ist jetzt einundzwanzig und mein Neffe neunzehn Jahre alt. Seit ich weiß, wie höchst unwahrscheinlich es ist, dass ich jemals der Vater von Kindern sein werde, die älter als sechs Jahre sind, bin ich noch dankbarer, dass ich ein Teil ihrer Kindheit sein durfte. Die Zeit, die ich mit Chris und Laura verbrachte, wurde mir noch kostbarer. Sie machten mir das Geschenk, mich von ihren Kindesbeinen an bis heute, da sie erwachsen sind, an ihrem Leben teilhaben zu lassen.
Vor Kurzem bat ich Chris und Laura um einen Gefallen. Ich hätte gerne, dass sie nach meinem Tod hie und da meine Kinder zu einem Wochenende abholen und einfach irgendwelche Sachen mit ihnen machen. Irgendwas, von dem sie glauben, es könnte ihnen Spaß machen. Das müssen nicht die Dinge sein, die wir miteinander unternommen haben. Sie können die Initiative einfach den Kindern überlassen. Dylan liebt Dinosaurier. Vielleicht können Chris und Laura mit ihm in ein Naturkundemuseum gehen. Logan ist der Sportler, vielleicht können sie mit ihm ein Spiel der Steelers ansehen. Und Chloe liebt es zu tanzen. Sie werden schon etwas für sie finden.
Ich wünsche mir auch, dass sie meinen Kindern ein paar Dinge über mich erzählen. Beispielsweise könnten sie
einfach sagen: »Euer Dad hat uns gebeten, diese Zeit mit euch zu verbringen, genau so, wie er seine Zeit mit uns verbracht hat.« Ich hoffe, sie werden den Kindern auch erzählen, wie hart ich darum kämpfte, am Leben zu bleiben. Ich unterwarf mich der härtesten Behandlung, der ich nur unterzogen werden konnte, weil ich so lange wie möglich am Leben bleiben wollte, um für meine Kinder da zu sein. Das ist die Botschaft, die ich Laura und Chris den Kindern zu vermitteln bat.
Ach ja, und noch was. Wenn meine Kinder eine Sauerei in ihren Autos anrichten, dann hoffe ich, Chris und Laura werden an mich denken und lächeln.
16
Um eine Mauer werben
Die respekteinflößendste Mauer, gegen die ich in meinem ganzen Leben gestoßen bin, war nur 1,67 Meter hoch und hinreißend schön. Aber sie reduzierte mich auf ein Meer von Tränen, zwang mich, mein ganzes Leben neu zu bewerten, und brachte mich schließlich im Zustand totaler Hilflosigkeit sogar dazu, meinen Vater anzurufen und um Rat zu bitten, wie ich diese Mauer überwinden könnte.
Die Mauer hieß Jai.
In meiner Last Lecture erzählte ich, dass ich in meinem akademischen und anderen Berufsleben immer ein ziemlicher Experte für das Überwinden von Mauern gewesen sei. Die Geschichte des Werbens um meine Frau erzählte ich dem Publikum nicht, weil ich wusste, dass mich meine Gefühle überwältigen würden. Doch was ich meinen Zuhörern über meine Einstellung zu Mauern als solchen erzählte, trifft geradezu perfekt auf meine Anfangszeit mit Jai zu:
»… Mauern sind dazu da, Leute abzuhalten, die etwas nicht dringend genug wollen. Sie sind dazu da, andere Leute abzuhalten.«
Als Jai mir begegnete, war ich ein siebenunddreißigjähriger Junggeselle. Ich hatte mich mit vielen Frauen getroffen, viel Spaß gehabt, aber mehr als eine Freundin verloren,
weil sie eine ernsthaftere Beziehung wollte. Jahrelang hatte ich nicht den geringsten Drang verspürt, sesshaft zu werden. Sogar als ordentlicher Professor, der sich etwas Besseres hätte
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