Laubmann 2 - Bärenzwinger
Angestellten im erzbischöflichen Liegenschaftsamt jetzt ihre Mittagspause hatten. Und er selbst könnte ebenfalls etwas Warmes zu essen vertragen, bevor er seine Aufmerksamkeit historischen Plänen widmete. Deshalb besuchte er auf dem Weg zur Kirchenbehörde das Wollgeschäft seiner Cousine Irene. Vielleicht würde er sogar seine Mutter dort antreffen. Das Geschäft lag, am Fuße des Dombergs, in einer langgezogenen, aus mittelalterlichen Häusern gebildeten Gasse.
Als Laubmann am Laden anlangte, war die Tür erwartungsgemäß verschlossen, denn auch hier wurde die Mittagspause eingehalten. Er klopfte an die Schaufensterscheibe. Nichts rührte sich. Wieder so ein verschlossener Raum. Doch dann ging im Innern Licht an, die jahrzehntealte Neonlampe mit den Werbeaufschriften diverser Wollfirmen auf der Glasverkleidung. Seine Cousine schaute durch die mit einem Vorhang bespannte gläserne Tür und ließ Philipp herein.
Irene Laubmann, die Tochter des Bruders von Philipps Vater, hatte nach ihrer Scheidung vor einigen Jahren wieder ihren Mädchennamen angenommen. Sie wirkte mit ihren brünetten Locken, ihren weiblichen Formen und als betont feminin auftretende Frau sehr anziehend auf Männer, sogar auf ihren gleichaltrigen Cousin Philipp, was der sich aber nicht gerne eingestand. Ihr eng anliegendes Strickkleid tat ein übriges.
«Hast du zufällig was zu essen für mich?» wollte Philipp wissen.
Rose Laubmann, seine Mutter, war aus einer Nische im Hintergrund getreten. «Wenn du deinen Besuch angekündigt hättest, wäre mehr dagewesen! Wir haben nur eine Suppe.» Ihr Sohn aß ihrer Ansicht nach zu wenig. Rose war nicht besonders groß, ja durch das Alter – sie hatten vor kurzem ihren 74. Geburtstag gefeiert – kleiner sowie etwas rundlicher geworden. Ihre weißen Haare hatte sie hochgesteckt, und selbst in strengen Wintern trug sie ein dünnes Kostüm. Das war so ihre Gewohnheit.
Als das Neonlicht wieder abgeschaltet war, kehrte in der Nische, hinter einem Paravent und unter einer mit mehreren Glühbirnen bestückten Lampe, eine angenehmere Atmosphäre ein, sozusagen eine Wärme, wie sie für ein Wollgeschäft angemessen war. Einträchtig löffelten Irene, Rose und Philipp Laubmann die Suppe, eine echte Rinderbrühe mit Markklößchen, die Philipp als Mittagessen völlig genügte, zumal es reichlich frische Backwaren vom Bäcker um die Ecke dazu gab.
Als Nachtisch legte Irene einen Weihnachtsstollen auf, den sie einer großen Blechdose entnahm. Auf Philipp machte diese Blechdose den Eindruck eines unermeßlichen Füllhorns, dessen Stollen-Vorrat noch nicht einmal zu Ostern erschöpft sein würde.
Zum Stollen wurde Kaffee eingeschenkt, der wie die Suppe in der Koch- und Eßnische hinter dem Paravent zubereitet werden konnte. Kaum hatte sich Philipp erhoben, um seine leere Tasse in das kleine Spülbecken zu stellen, kam Irene aus ihrem Laden mit einem Wollpullover auf ihn zu.
«Dein schwarzer Pullover ist auf die Dauer wirklich langweilig.» Ein Vorwurf war nicht zu überhören.
«Aber den hast du mir doch selber aufgedrängt!» protestierte Philipp.
«Schau mal, der hier ist viel freundlicher!» Schon hielt sie ihm einen dunkelblauen, dicken Pullover mit seitwärts eingeflochtenen Zöpfen vor die Brust. Philipp sah in einem der Spiegel, daß die Vorderfront des Kleidungsstücks mit einem silbergrauen Eisbären verziert war.
«Willst du mich vollkommen in die Kindheit zurückexpedieren?»
«Das ist junge Mode; oder fühlst du dich etwa zu alt dafür?»
Das wollte Philipp Laubmann nicht auf sich sitzen lassen und ließ sich notgedrungen den Pullover, ehe er zum Liegenschaftsamt aufbrach, in einer Papiertüte überreichen, weil diese undurchsichtig war.
***
Das Amt war in einem jener barocken Palais untergebracht, die sich im Anschluß an die mittelalterlichen Höfe und Gebäude um den Dom – als zentralen, bischöflichen Ort – gruppierten. Auch Prälat Albert Glöcklein hatte seinen Amtssitz in einem solchen Palais; und ihm oblag unter anderem die geistlich-kirchliche Aufsicht über das Liegenschaftsamt.
Bei einer geheim abgehaltenen Dienstbesprechung hatte er vor hochrangigen Angestellten des Ordinariats über die mißliche Situation auf der kircheneigenen Babenburg berichtet. Sie hatten diskutiert, ob, wann und wie die Kirche offiziell auf den Mordfall reagieren solle. Ob es ratsam wäre, von sich aus die örtliche Presse zu informieren, nebst der Kirchenzeitung, und darüber hinaus den lokalen
Weitere Kostenlose Bücher