Laubmann 2 - Bärenzwinger
Dissertation wird sich nun an Ihnen selbst bewahrheiten: ‹Unfreiheit als Folge unbeschränkter Freiheit›.»
S O N N T A G · 2 2 . J A N U A R
In der vergangenen Nacht hatte es wieder geschneit, aber die Straßen waren frei geblieben. Ein dem Augenschein nach unschuldiges Schneekleid hatte sich auf die Wiesen oberhalb der Stadt, auf den Wald und die Burg gelegt. Der Himmel war fast wolkenlos. Die Tagung auf der Babenburg zum Thema «Wahrheit» ging an diesem Vormittag zu Ende, und alles erschien so rein wie am ersten Tag. Als wäre gar nichts vorgefallen.
Zwei Journalisten hatten sich im Burghof eingefunden: eine Reporterin und ein Fotograf der Lokalzeitung. Der Fotograf, der eine sportlichere Winterjacke trug, lichtete rundherum alles ab, was er vor die Linse bekam. Zwei Ledertaschen mit Fotoausrüstung baumelten ihm von den Schultern. Die Reporterin, in einen Pelzmantel für gesellschaftliche Anlässe gehüllt, schrieb Notizen auf ihren Block. Sie schaute in die Gebäude hinein und sprach einzelne Burggäste an, die entweder sofort weitergingen oder auch mal länger stehenblieben, um zu den journalistischen Fragen bezüglich des Mordfalls wichtige Erklärungen abzugeben. Anbei ließen sie sich gerne fotografieren. Am Besuch des Erzbischofs waren die Reporterin und der Fotograf weniger interessiert. Das war die Angelegenheit der Kirchenpresse.
Denn für zehn Uhr vormittags war laut Programm ein Gottesdienst mit dem Erzbischof von Bamberg als krönender Abschluß der Tagung vorgesehen, der zugleich als offizieller Gedenkgottesdienst für den verstorbenen Alfonso Forster gedacht war. Da Forster kein ausgesprochener Befreiungstheologe gewesen war, hatte die Kirchenleitung kein Problem damit.
Nicht allzu lange vor dem Termin rollte der schwarze Wagen des Erzbischofs über den Kies des Burghofs hinter der Toreinfahrt. Albert Glöcklein eilte selig und mit ausgebreiteten Armen auf seinen Chef zu und half ihm aus dem Wagen, obwohl dieser schlanker und beweglicher war als der ältere Prälat. In gebührendem Abstand hatte die Familie Merten – schwarz gekleidet – Aufstellung genommen, um ihren obersten Dienstherrn zu empfangen, der sie bald darauf begrüßte.
Hans und Sophia Merten standen eng und versöhnt nebeneinander. Sophia hatte sich bei ihrem Mann untergehakt, und Gisela Merten nahm dies mit Erleichterung wahr. Als das erzbischöfliche Empfangskomitee auf die Burgkapelle zuschritt, hakte sich Gisela ebenfalls bei ihrem Vater unter. Die gegen alle Familienmitglieder gerichteten Verdächtigungen hatten sie einander nähergebracht.
Der Kastellan mußte sich anschließend zur Sakristei begeben, um seines Amtes als Mesner zu walten. Heute empfand er dies sogar als bereichernd. Mit ihm gingen zwei Ministranten in die Sakristei, die von ihren Eltern heraufgebracht worden waren. Kurz darauf läutete die Glocke der Burgkapelle und rief die Tagungsteilnehmer zur Messe.
Dem Ruf der gleichmäßigen Töne folgten die Gäste der Babenburg, die nicht bereits in der Kirche warteten: Pro fessor Raimund Hanauer, mit einem eigenen Gesangbuch, das in Leder gebunden war und eine Goldprägung hatte; dann die Freunde Alfonso Forsters, Karla und Eugen Oberhauser, sie der gelegentlichen Tränen halber mit einem feinen Taschentuch in der Hand; dahinter in Ordenstracht Pater Anton Baireuther aus dem Gangolfskloster und die Theaterintendantin Helen Winkels, die sich einen knallroten Schal um den Hals gewunden hatte. Christa SchanzHaberberger sah sie mißbilligend an, obwohl ihr Hals ebenfalls von einem dicken Schal geschützt wurde, weil die Mandelentzündung noch nicht abgeklungen war.
Glaser, Lürmann und Laubmann bildeten als erfolgreiches Ermittlertrio eine Gruppe für sich. Mit Erstaunen registrierten die Kommissare, daß sich Laubmann äußerlich verändert hatte. Er trug tatsächlich einen schwarzen Mantel, den ihm seine Mutter mitgebracht hatte, und den neuen Eisbären-Pullover darunter. Rose und Irene Laubmann begutachteten ihren Philipp mit stiller Genugtuung.
Die Leiterin des diözesanen Liegenschaftsamtes, Theresia Schmitthans-Jungbauer, hatte sich gleich nach ihrer Ankunft auf der Burg an Gisela Merten gewandt und ihr versprochen, die Pläne und das «Don-Juan»-Heft für die Burgbibliothek gesondert zu kopieren. Die unechten Steine ihres Ohrschmucks funkelten im Sonnenschein violett.
In der Kirche saßen die Professoren Bach, Röttinger, Grunde und Ippendorff dicht aneinander gedrängt in einer Kirchenbank.
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