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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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Daumen auf Jane. »Sie ist zu mager.«

    »Nein, danke«, sagte Jane hastig. »Ich bin wirklich nicht hungrig.«
    »Er hat erst vor zwei Stunden gegessen«, bemerkte Carole, während sie zwei Scheiben Brot mit Senf bestrich und dann ein Stück Salami in dünne Scheiben schnitt. Sie legte das zusammengeklappte Brot auf einen kleinen Teller, den sie ihrem Vater hinstellte.
    »Was ist das?«
    »Dein Brot.«
    »Das ist kein Steak-Sandwich.« Er stieß den Teller weg wie ein verzogenes Kind.
    »Nein, das ist Salami. Ich hab dir doch gesagt, daß wir keine Steaks im Haus haben, Vater. In ein paar Stunden gibt’s sowieso Abendessen. Bis dahin mußt du dich eben mit Salami zufriedengeben.«
    »Ich will aber keine Saiami.« Er schüttelte zornig den Kopf. »Werden Sie bloß nicht alt«, sagte er zu Jane, stand von seinem Stuhl auf und schlurfte aus der Küche. Sie hörte seine schwerfälligen Schritte auf der Treppe, dann direkt über ihrem Kopf, als er die Tür zu seinem Zimmer zuschlug.
    »Wie lange ist er schon so?« fragte sie und wußte nicht, wer von den beiden ihr mehr leid tat.
    »Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Er ist schwerhörig, aber er will auch gar nicht zuhören. Er ist aggressiv und streitsüchtig. Ich weiß nie, was er als nächstes tun oder sagen wird. Neulich nacht bin ich um drei aufgewacht - seit Daniel weg ist, schlafe ich schlecht - und wollte nach ihm sehen. Ich fand ihn im Flur. Er stand da und starrte die Tür an. Als ich ihn fragte, was er da täte, sagte er, er warte auf die Morgenzeitung, und wollte wissen, wieso sein Frühstück noch nicht fertig sei. Ich sagte ihm, daß wir normalerweise nicht mitten in der Nacht frühstücken. Gut, meinte er, wenn du mir kein Frühstück machst, mach ich es mir eben selbst. Und was tut er? Schmeißt ein paar Eier in die Mikrowelle
und dreht voll auf. Ein paar Minuten später hör ich einen Mordsknall, und als ich in die Küche komme, sieht’s aus wie nach einem Bombenangriff. Kannst du dir das vorstellen - um drei Uhr morgens stehe ich in der Küche und kratze das Rührei von der Zimmerdecke. Es wär zum Lachen, wenn’s nicht so verdammt traurig wäre.« Sie schüttelte den Kopf, genau wie ihr Vater. »Aber Schluß jetzt damit. Ich will dir nichts vorjammern. Du hast schließlich ganz andere Probleme.«
    »Wie lange lebt dein Vater schon bei euch?«
    »Seit dem Tod meiner Mutter. Ungefähr sechs Jahre.«
    »Wie ist deine Mutter gestorben?«
    Caroles Stimme war leise, kaum hörbar. »An Krebs - was sonst? Im Magen fing es an und breitete sich dann im ganzen Körper aus.«
    »Das tut mir Jeid.«
    »Ja, es war schlimm.« Ihre Augen wurden feucht. »Ich weiß noch, wie ich sie ein paar Tage vor ihrem Tod im Krankenhaus besuchte. Sie hatte schreckliche Schmerzen, trotz der Mittel, die sie ihr gaben. Ich fragte sie, was ihr den ganzen Tag über durch den Kopf ginge, während sie in ihrem Bett lag und an die Decke starrte, und sie sagte: >Mir geht gar nichts durch den Kopf. Ich möchte nur, daß es endlich vorbei ist.<«
    »Ich wollte, ich könnte mich an meine Mutter erinnern«, sagte Jane und bemerkte den Ausdruck der Überraschung, der die Traurigkeit auf Caroles Gesicht verdrängte. »Michael hat mir von dem Unfall erzählt.«
    »Oh, wirklich?«
    »Ja. Nicht viel. Nur daß sie auf der Stelle tot war, und daß es vor ungefähr einem Jahr passierte.«
    »Ein Jahr ist das schon wieder her«, murmelte Carole. »Wie schnell die Zeit vergeht. Du kannst dich überhaupt nicht an sie erinnern?«
    Jane schüttelte den Kopf. »Ich habe mir Fotos von ihr angesehen,
aber sie sagen mir nichts. Ich komme mir so - so untreu vor.«
    »Oh, das Gefühl kenn ich.« Carole rückte mit ihrem Stuhl so nahe an Jane heran, daß die Knie der beiden Frauen sich berührten. »Ich liebe meinen Vater. Aber in letzter Zeit habe ich manchmal das Gefühl, daß ich nur noch die Zeit absitze und darauf warte, daß er stirbt. O Gott, ich bin furchtbar. Du kennst mich noch nicht einmal, aber du mußt mich für die schlimmste Person auf der Welt halten.«
    »Ich finde dich nicht schlimm. Ich finde dich menschlich.«
    Carole lächelte dankbar. »Deswegen stand ich dauernd bei dir vor der Tür, nachdem Daniel gegangen war. Du konntest mir immer etwas sagen, das mich aufgemuntert hat.«
    »Erzähl mir von Daniel. Ich meine, natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht, über ihn zu sprechen.«
    »Wenn es mir nichts ausmacht?! Ich möchte am liebsten von nichts anderem reden! Ich habe keine

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