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Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Mall
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schmerzfrei laufen kann. Als ich um 16 Uhr mein Zelt aufbaue und erst mal Wurzeln schlage, komme ich mir komisch vor. So muss sich ein Fisch fühlen, den man plötzlich aus dem Fluss nimmt und in ein Bassin einschließt. Ich verpasse dem linken Bein einen Wickel, bestehend aus meinem Handtuch, und ergebe mich meinem Schicksal.
     

Montag, 18. Juni
    Nachts war Gewitter, das Zelt hat einigermaßen standgehalten. Am Morgen scheint wieder die Sonne. Zeit, die Wäscheleine aufzuspannen und ein paar Sachen zu waschen und auszulüften. Dann bummle ich in die »Stadt.“, also nach Monistrol d’Allier Bourg. Eine Apotheke gibt es nicht.
    Ich setze mich in ein Café am Pilgerweg. Während ich meinen Morgenkaffee trinke, ziehen vereinzelt Wanderer an mir vorbei. Ich beneide sie ein bisschen, dass sie weiterkönnen und ich nicht.
     
    Gegen zehn Uhr verstärkt sich die Zahl der Wanderer und Pilger, die vorbeiziehen.
    Endlich sehe ich mal ein paar meiner verborgenen Weggefährten. Es ist interessant für mich, wie sie ausgerüstet sind. Die meisten haben deutlich kleinere Rucksäcke, aber ich weiß natürlich auch nicht, wie weit die wollen.
    Während ich sitze und beobachte, kommt ein Wanderer des Wegs, der mich anspricht. „Aus Bamberg? Du bist doch der von der Sams-Führung?.“ Ich staune. „Ja.“, bestätige ich. Der Pilger heißt Fritz, reist viel und ist jetzt mit seiner Begleiterin Ulrike auf dem Weg nach Santiago. Ich bekomme etwas Mobilat für mein Bein und noch einige gute Ratschläge, dann ziehen die beiden weiter. Es fällt mir schwer zu wissen, dass ich momentan nicht weiterkann, aber mein Bein spricht eine klare Sprache.
     
    Ich nutze den Tag, um meine gesamte Ausrüstung zu inspizieren und die nötigen Kleinreparaturen zu machen. Da fällt mir auf: Mein Herzstein ist weg! Ich erschrecke ein bisschen. Wo kann ich ihn verloren haben, den ich bis zum Cruz de Ferro mitnehmen wollte? Ich weiß es nicht. Nach längerem Nachdenken fällt mir der dritte Tag ein und der Ruck, mit dem ich mich aus den Brombeerranken befreit hatte. Ob die Jakobsmuschel noch da war, hatte ich damals kontrolliert, an den Stein hatte ich nicht mehr gedacht. Jetzt liegt er wahrscheinlich auf dem Pilgerweg. Mir ist klar, dass ich einen neuen Stein brauche. Vom Kiesweg des Campingplatzes hole ich mir einen. Er passt leicht in meine Hand und wird im Rucksack an sicherer Stelle verstaut.
    Später kühle ich noch mein geschwollenes Bein in der kalten Strömung des Alliers. Es ist schön hier, aber ich merke, ich will weiter. Abends, bevor es dunkel wird, mache ich in Sandalen probeweise den Anfangsteil der Wegfortsetzung, und da das zumindest ohne Rucksack mit dem Bein recht gut geht, entscheide ich mich, morgen in Sandalen weiterzulaufen. Auf diese Weise wird die schmerzende Stelle nicht weiter vom Stiefel gedrückt. Jedenfalls bin ich entschlossen, zumindest nach Saugues und damit zur nächsten Apotheke zu laufen.
     

Dienstag, 19. Juni
    Es sieht nach einem warmen Tag aus.

     
    Langsam packe ich zusammen. Im Café noch eine Stärkung, dann Einkauf einiger Lebensmittel. Um 10.45 Uhr starte ich endgültig. Ich komme gut voran. Die Strategie mit den Sandalen hat sich als richtig erwiesen. Das Bein spielt gut mit. Jetzt, verglichen mit anderen Wanderern, merke ich, dass ich zumindest bergauf ein ordentliches Tempo an den Tag lege. Der Weg steigt zunächst ständig an und belohnt mit schöner Aussicht in die Täler. Als die Höhe erreicht ist, fasziniert weite Fernsicht. Die Luft ist heute ganz klar, ein leichter Wind bringt Kühlung. Heute ist es eine Freude zu laufen. Der Weg bleibt ungefähr auf einer Höhe, etwas über 1000 Meter, und ich komme gut voran. In Rognac, dem letzten Weiler vor Saugues, mache ich für einen Tee halt. Hier bin ich der einzige Wanderer. Aber gleich darauf tauchen wieder welche auf, die ich vorher überholt habe. Ein kurzer Gruß, ein paar aufmunternde Worte, das geben sich hier alle Wanderer gegenseitig.
    Um 16 Uhr ist Saugues erreicht. Der erste Weg führt mich in die Tourist-Information, wo ich meinen Stempel abhole, der zweite dann in die Apotheke schräg gegenüber. Die freundliche Apothekerin, der ich mein Bein zeige und entsprechend meiner sprachlichen Möglichkeiten die Lage erkläre, gibt mir eine Salbe gegen die Schwellungen. „Hilft das auch gegen die Schmerzen?.“, will ich wissen. Ja, die Schmerzen kämen von der Schwellung. Ein paar Häuser weiter finde ich ein kleines Café Chez Duthu, dessen Wirtin

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