Laufend loslassen
und will sie auf dem Weg verarbeiten. Merkwürdig, dass ich gerade auf ihn hier treffe und damit auch auf meine eigene Thematik.
Später setze ich mich dann zu Conny aus Nürnberg. Sie leidet derzeit an Schmerzen, ausgelöst durch die Wanderschuhe, die sie in Saugues neu kaufen musste. Ich helfe ihr mit Blasenpflaster aus, sie mir mit einer Zeltstange, da meine geknickt ist.
Wir unterhalten uns lange. Für sie geht es um Selbstständigkeit auf dem Weg, die Fähigkeit, alleine zurechtzukommen, für mich, das wird wieder deutlich, ums Loslassen. Sie gibt mir einen wichtigen Hinweis zu meiner Düsterkeit oder schlechten Laune, wie ich sie beim Abstieg vom Aubrac erlebt habe. „Wenn diese Stimmung wirklich damit zu tun hat, dass das eine nicht mehr und das andere noch nicht ist.“, erklärt sie mir, „dann hat das mit loslassen können zu tun.“ Da habe ich es also wieder, mein Thema. Sie gibt einen Hinweis. „Versuch doch gedanklich im Vorfeld schon in dieses Loslassen hineinzugehen, dann ist es eingeübt, selbst angesteuert und kommt nicht einfach über dich. Also schon dann, wenn du merkst, dass sich etwas zu verändern beginnt.“ Es wird ein langer Abend und ein schönes Gespräch.
Montag, 25. Juni
Um halb sieben aufgewacht. Draußen ist es trüb, in den Tälern hängen noch Nebelfetzen. Ich frühstücke mit Conny, dann bricht sie mit ihrem Hund auf. Ich kaufe noch ein und starte um neun. Es ist gutes Wanderwetter, der Weg ist angenehm und führt durch eine gegliederte Hügellandschaft. Aber es ist noch alles nass vom nächtlichen Regen. Zum ersten Mal seit Monistrol d’Allier laufe ich heute wieder in Stiefeln. Es geht, das Bein spielt mit. Was für ein Glück, dass ich bei dieser Feuchtigkeit nicht in Sandalen laufen muss und welch ein Glück, dass ich so lange bei Trockenheit in Sandalen laufen konnte, wie meine entzündete Sehne es gebraucht hat. Ich bin wirklich dankbar dafür. Unterwegs treffe ich ein paar Elsässer aus Straßburg, wir unterhalten uns kurz auf Französisch, dann in Deutsch über die besondere Situation des Eisass. Als der Weg dann abwärtsgeht, ziehen sie weiter. Abwärts geht es bei mir noch immer besonders langsam. Ich bin guter Stimmung und freue mich auf Conques und darüber, dass es heute nur 20 Kilometer sind und der Rucksack ohne die Stiefel und ohne die Regenjacke - ich habe sie an - leichter ist. Allmählich werden Wanderer und Pilger mehr. Das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, wird stärker. Eine Tafel am Weg macht Mut. Sie ist in Languedoc geschrieben und ich verstehe sie so: „Pilger oder Pilgerin auf dem Weg nach Compostela, am Ende wirst du den Stern sehen von St. Jakobus, dem Erleuchteten.“
Kurz vor zwölf treffe ich in Espeyrac ein, verweile kurz in der gotischen Kirche und stärke mich wieder einmal mit einem Kaffee. Eine halbe Stunde später geht es hinaus in den Nieselregen. Der hindert nicht, löst keinen Widerstand aus. Mehr und mehr erreiche ich auf dem Weg die Einstellung: Es ist wie es ist.
Ich erreiche Conques um 16 Uhr, werde nach einer kurzen Befragung und Information im Kloster aufgenommen und bekomme einen Platz im Schlafsaal.
Ich spüre schon beim Empfang, dass diese Herberge den Geist der alten Pilgertradition atmet.
Das Abendessen ist französisch gut, vier Gänge, und ich genieße die Tischgemeinschaft. Neben mir ein kanadisches Ehepaar aus Quebec, das auch den Jakobsweg geht. Als Tischgebet singen wir das Ultreia-Lied: „Ultreia, Ultreia, et sus eia, deus adjuva nos.“ Um 20.30 Uhr Gebet mit den Mönchen in der Kirche mit dem Segen für die Pilger, die von hier aus weiterziehen nach Santiago. Auch ich bekomme den Segen. Das Ultreia-Lied, das wir vor dem Bild Mariens im linken Seitenschiff der hohen Kirche noch einmal anstimmen, rührt mich. Es ist für mich, obwohl ich es erst einmal beim Abendessen gehört habe, so, als hätte ich es schon viele Male in meinem Leben gesungen. Eine ganz merkwürdige Empfindung.
Danach spielt Frère Jean-Daniel, einer der Prämonstratensermönche, an einem großen Flügel Interpretationen verschiedener Lieder, darunter auch solcher aus Taizé. Ich sitze auf dem Sockel einer Säule und höre verträumt zu. Ich hätte ewig zuhören können. Oh Augenblick verweile, du bist so schön!
Anschließend eine Führung zum Tympanon des Kirchenportals, eindrucksvoll und humorvoll, obwohl ich nur etwa ein Drittel verstehe. Ein weiterer Höhepunkt: ein Orgelkonzert, bei dem die Kirche geheimnisvoll
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