Laura Leander 05 - Laura und der Ring der Feuerschlange
Pforte haben.«
E s kam völlig anders, als Laura es erwartet hatte: Sayelle Leander-Rüchlin, ihre Stiefmutter, war das Verständnis in Person. Sie verzog keine Miene, als Laura und ihr Vater fast eine Stunde zu spät zum Essen erschienen.
»Aber das macht doch nichts«, säuselte sie mit zuckersüßer Stimme. »Das kann schon mal passieren. Ich bin sicher, es gibt triftige Gründe für diese kleine Verspätung.«
Na, so was!
Laura wunderte sich über alle Maßen. Sayelle war ja nicht wiederzuerkennen. Früher war sie geradezu unerträglich gewesen.
Die wenigen Wochen, die Sayelle während der langen Abwesenheit von Marius mit Laura und Lukas verbracht hatte, hatten für die Geschwister eine Qual bedeutet. Nie hatten sie es der Stiefmutter recht machen können. Nahezu unablässig hatte Sayelle an ihnen herumgemäkelt. Ständig hieß es: »Laura, mach dies!« oder: »Lukas, mach jenes!«, und was sie auch getan hatten – es war fast immer falsch gewesen. Und Verständnis für die Nöte und Sorgen der beiden war Sayelle meistens ebenso fremd gewesen wie Mitgefühl. Deshalb waren die Geschwister auch heilfroh, dass ihre beruflichen Pflichten – die erfolgreiche Journalistin leitete das Wirtschaftsressort der renommierten »ZEITUNG« – Sayelle dermaßen in Anspruch nahmen, dass sie kaum Zeit für ihre Stiefkinder hatte.
Insbesondere in den letzten Monaten war dies ein Glück gewesen!
Was mochte diesen plötzlichen Wandel bewirkt haben? Vermutlich hing es mit Marius zusammen. Seit ihr Vater wieder zu Hause war, schien Sayelle wie ausgewechselt zu sein.
Die blöde Schleimerin!, dachte Laura und warf ihrem Bruder im Esszimmer einen verschwörerischen Blick zu.
Der Tisch war bereits gedeckt – und Sayelle hatte sich offensichtlich sehr viel Mühe gegeben. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte die Stiefmutter nicht nur das beste Geschirr und Besteck aufgelegt, sondern auch für passenden Blumenschmuck gesorgt und sogar Kerzen angezündet. Unglaublich!
Sayelle – das brünette Haar wie immer tadellos frisiert und das Make-up perfekt, wenn auch etwas zu dick aufgetragen – blickte ihren Mann und die Stieftochter mit honigsüßem Lächeln an. »In zehn Minuten wird die Suppe serviert. Wenn ihr euch in der Zwischenzeit bitte frisch machen und umziehen würdet?« Damit verschwand sie in die Küche, aus der köstliche Düfte drangen.
Laura schnupperte verzückt. Hmm! Das Wasser lief ihr bereits im Mund zusammen.
Wie sich herausstellte, hatte Sayelle das Drei-Gänge-Menü keineswegs selbst gekocht, sondern es von einem Catering-Service anliefern lassen. Die Gerichte, die auf einer eigens angefertigten Speisekarte aufgeführt waren, hatten so fremdartige und komplizierte Namen, dass Laura sich keine Mühe gab, sie zu verstehen. Die Firma hatte zudem nicht nur eine Serviererin, sondern auch einen Koch abgeordert, der dem Essen den letzten Schliff verlieh. Er schmeckte es noch einmal ab und wachte auch darüber, dass es punktgenau aufgetragen wurde. Die durch Lauras Verspätung bedingte Verzögerung hatte kein Problem für den Profi dargestellt, denn die Speisen waren köstlich. Laura konnte sich gar nicht mehr erinnern, im Hause Leander jemals so etwas Gutes gegessen zu haben. Schließlich hatte die Stiefmutter oft genug unter Beweis gestellt, dass sie vom Kochen fast noch weniger Ahnung hatte als von Kindern. Laura und Lukas mussten sich während der Abwesenheit des Vaters meistens mit aufgewärmten Fertigmenüs oder faden Mikrowellengerichten begnügen. Sayelles seltene Kochversuche waren fast ausnahmslos gescheitert. Sie brachte nicht einmal die einfachsten Gerichte zustande – und musste meistens doch wieder den Pizza-Service bemühen.
Nachdem der Nachtisch aufgetragen worden war, komplimentierte Sayelle das angeheuerte Personal routiniert hinaus.
Zum ersten Mal seit fast zwei Jahren war die Familie ganz unter sich. Obwohl Laura und Marius schon vor ein paar Wochen auf die Erde zurückgekehrt waren, hatte Sayelles enger Terminplan bislang gemeinsame Mahlzeiten verhindert. Laura fühlte sich unwohl.
Dem Bruder ging es offensichtlich genauso. Jedenfalls löffelte Lukas das Dessert lustlos in sich hinein, obwohl es ebenso lecker war wie alles andere.
Bereits während der ersten beiden Gänge hatte sich Sayelle nach Kräften bemüht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Marius Leander hatte sich lebhaft an dem Gespräch beteiligt. Laura und Lukas dagegen waren wortkarg geblieben und hatten fast sämtliche
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