Laura Leander 05 - Laura und der Ring der Feuerschlange
würden daran festfrieren.
Auch der Bruder, der so dicht neben ihr war, dass sie seinen keuchenden Atem vernehmen konnte, ließ einen überraschten Schmerzenslaut hören.
Beide begannen zu klettern. Vielleicht war es die Todesangst, die sie beflügelte, oder die Mächte des Lichts kamen ihnen zu Hilfe, denn Laura und Lukas erklommen den Zaun so gewandt und geschwind, wie sie es selbst nie für möglich gehalten hätten. Schnell waren sie außerhalb der Reichweite der Verfolger, die ihre Enttäuschung wütend in die Nacht hinausschrien.
Ihr schauriges Heulen mischte sich mit dem Gebrüll der geflügelten Löwen. Latus und Lateris hatten die Hilferufe endlich vernommen und rauschten durch den Wind heran.
»Ja!«, rief Laura unendlich erleichtert, als das Entsetzliche geschah: Plötzlich kam Leben in die Metallstäbe! Sie regten sich, wurden lang und länger und griffen blitzschnell nach dem Mädchen, um sich wie die Tentakel eines beutegierigen Kraken um dessen Arme und Beine zu schlingen.
Ein verzweifelter Hilfeschrei drang aus Lauras Kehle, während sie sich mit aller Gewalt loszureißen versuchte. Doch so sehr sie auch zerrte und um sich trat – die Schlingen zogen sich nur noch fester um sie.
Auch Lukas hielten die eisernen Fesseln unerbittlich fest.
Die Skelette in den schwarzen Umhängen ließen ein Triumphgeschrei hören. Das Feuer in ihren Augenhöhlen schien aufzulodern. Schließlich hob der Anführer – er war an dem großen Loch zu erkennen, das in seinem Wangenknochen klaffte – die bleiche Totenhand und gab zweien seiner Kumpane den Befehl zum Angriff. Diese schlossen die Skelettfinger fester um die Stiele der Sensen, erhoben ihre Mordinstrumente und marschierten auf die hilflos zappelnden Geschwister los.
In diesem Moment stürzten sich Latus und Lateris mit einem Furcht erregenden Brüllen auf die Angreifer und fegten sie hinweg, als seien sie nichts als harmlose Strohpuppen. Doch während die beiden Sensenmänner durch die Luft wirbelten und auf dem Boden in ihre Einzelteile zerschmettert wurden, nur um sich wieder von Neuem zusammenzufügen, attackierten die übrigen drei. Den Fabeltieren gelang es erst im allerletzten Moment, auch diesen Angriff durch die Schläge ihrer Schwingen abzuwehren. Doch schon stürmten die beiden ersten Skelette wieder heran – und das tödliche Spiel begann von Neuem.
Wir haben keine Chance!, dachte Laura, starr vor Entsetzen. Diese Kerle sind unverwundbar! Bald werden die Kräfte von Latus und Lateris erschöpft sein – und dann ist es um uns geschehen!
»Verzeih mir, Lukas«, flüsterte Laura mit erstickter Stimme, während ihr Tränen über die Wangen flossen. »Ich hätte dich nicht mit hineinziehen dürfen.«
»Was redest du denn da?« Lukas klang aufgebracht. »Anna ist doch auch meine Mutter – nicht nur deine. Ihr Schicksal geht mich genauso viel an wie dich – auch wenn ich kein Wächter bin.«
Laura war plötzlich wie betäubt.
Natürlich!
Dass sie nicht eher daran gedacht hatte! Vielleicht gab es doch eine Chance, den unheimlichen Gesellen der Finsternis zu entkommen.
Noch immer starrte Aurelius gedankenverloren hinaus in die Nacht. Nur die Parklaternen erhellten die Dunkelheit ein wenig. Wolkenfetzen rasten über den Himmel, als wollten sie Thor und seiner wilden Jagd Konkurrenz machen. Der Wind war stärker geworden, fuhr ungestüm durch das Geäst der Bäume und wirbelte welke Blätter und morsche Zweige auf. Kein Ravensteiner außer dem Direktor schien etwas von dem nächtlichen Brausen zu bemerken. Hinter den Fenstern der Wohntrakte, die Aurelius von seinem Schlafzimmerfenster aus sehen konnte, war es dunkel. Auch im Lehrerhaus brannte kein Licht.
Gut so, dachte Aurelius Morgenstern für sich. Es reicht, wenn einer nicht schlafen kann!
Schließlich hatte er seine Lage selbst verschuldet. Allzu lange hatte er die Zeichen übersehen – dabei waren sie so offensichtlich gewesen! Angefangen hatte es in der Nacht nach Anna Leanders Unfall, als er im Traum ein mächtiges Feuer erblickt hatte, um das gesichtslose Gestalten einen wilden Reigen getanzt hatten, bis sich schließlich Dunkelheit über die Welt gesenkt und eine riesige Schlange ihr flammendes Haupt erhoben hatte, als wolle sie alles verschlingen. In genau diesem Augenblick war Aurelius aus dem Albtraum aufgewacht. Schon damals hätte er die wahren Zusammenhänge erkennen oder zumindest ahnen müssen, was ihnen bevorstand. In all der Zeit, die seither vergangen war, hatte er
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