Laura Leander 05 - Laura und der Ring der Feuerschlange
zurück. »Frag Philipp, der leiht dir mit Sicherheit sein Bike!« Mr. Cool zögerte tatsächlich nicht eine Sekunde, und so machten sich die Geschwister schon wenig später auf den Weg.
Der Nebelsee hatte sich in den acht Jahren, die seit dem Unfall vergangen waren, kaum verändert. Natürlich waren die Sträucher und Büsche an seinem Ufer größer und dichter geworden, und auch der Schilfgürtel hatte sich leicht verbreitert. Ansonsten aber sah alles noch fast genauso aus, wie Laura es von ihrer Traumreise in Erinnerung hatte. Deshalb fand sie die Stelle, an der das Auto der Mutter ins Wasser gestürzt war, sofort. Dann streckte sie die Hand aus und wies auf eine kleine Bucht, die etwa einen halben Kilometer entfernt sein mochte. »Das ist die Stelle, die in dem Bericht beschrieben ist, glaube ich. Dort haben die beiden Angler den Käfer entdeckt.«
»Aha.« Lukas nickte zufrieden. Er atmete schwer, denn die Fahrt war anstrengend gewesen. Von Ravenstein bis zum Nebelsee waren es einige Kilometer, eine ziemlich lange Strecke für einen ungeübten Radfahrer wie ihn. Zwar besaß er inzwischen sogar ein eigenes Fahrrad, er benutzte es allerdings nur selten. Zudem hatte seine Schwester so ein schnelles Tempo angeschlagen, dass er sich sehr hatte anstrengen müssen, um nicht zurückzufallen. Die Blöße, nicht mit ihr mithalten zu können, wollte er sich nun wirklich nicht geben! Lukas holte noch einmal tief Luft und fuhr dann fort: »Hoffentlich ist dort noch so viel Energie vorhanden, dass ich vielleicht ein paar Schatten sehen kann.«
Lauras Miene war skeptisch. Dabei wusste sie seit ihrem letzten Ausflug nach Aventerra, was es mit dem Schattensehen auf sich hatte: Jedes Lebewesen strahlte Körperenergie aus, das eine mehr, das andere etwas weniger. Bei jeder Begegnung zwischen lebenden Geschöpfen kam es zwangsläufig zu einem Austausch dieser Energien, und dies hinterließ Spuren. Für die meisten Menschen waren diese völlig unsichtbar. Schattenseher dagegen konnten sie als flüchtige Schemen wahrnehmen.
Dadurch konnten sie ein bestimmtes Geschehen verfolgen, bei dem sie selbst nicht zugegen waren. Und über diese ebenso seltene wie wertvolle Fähigkeit verfügte Lukas. Er hatte zwar keine Ahnung, warum, und er beherrschte sie längst noch nicht vollkommen. Dennoch hatte ihm das Schattensehen schon das eine oder andere Mal wertvolle Hinweise geliefert.
Laura sah ihren Bruder immer noch zweifelnd an. »Glaubst du wirklich, dass uns das weiterhelfen könnte?«
»Warum denn nicht?« Der Junge zog die Brauen hoch. »Lass es uns einfach versuchen! Vielleicht klappt es ja.«
»Hoffentlich«, erwiderte Laura. Sie machten sich auf den Weg. Keuchend folgte Lukas seiner Schwester, die mit schnellen Schritten durch das scharfkantige Sumpfgras stapfte, direkt auf die Sandbucht zu, wo das blaugrüne Wasser des Nebelsees sanft ans Ufer schwappte.
Dort nahm Lukas seine Umgebung genau in Augenschein. Doch sosehr er sich auch bemühte, er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken.
Zumindest keine geheimnisvollen Schatten.
Zu allem Überfluss musterte die Schwester ihn auch noch mit erwartungsvollen Blicken. »Und?«, fragte sie ungeduldig.
Lukas merkte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Er schüttelte hastig den Kopf.
Wie peinlich!
Ausgerechnet in Lauras Gegenwart musste ihn seine Fähigkeit im Stich lassen!
Erneut konzentrierte er sich ganz auf seine Umgebung. Doch es half alles nichts. Das Glück ließ sich nicht erzwingen.
Trotzdem blieb Lukas noch geraume Zeit am Seeufer stehen. Dann sah er schließlich ein, dass es keinen Sinn ergab, länger zu bleiben. »Lass uns gehen«, sagte er kleinlaut zu seiner Schwester und wandte sich den Fahrrädern zu, die sie am Straßenrand zurückgelassen hatten. Da trübte sich sein Blick, ganz ohne Vorwarnung. Nur Augenblicke später wurde es rings um ihn herum stockdunkel.
Das fröhliche Gezwitscher der Vögel, das eben noch die Luft erfüllt hatte, war verstummt. Unheimliche Stille hatte sich über den See gesenkt, der nun wie ein riesiges schwarzes Auge unter einem wolkenverhangenen Himmel lag. Ein kühler Wind strich durch das Schilf und ließ die Blätter rauschen. Aus der Ferne erklangen die schaurigen Rufe eines Nachtvogels.
Lukas, der wie angewurzelt dastand, erblickte eine dunkle Gestalt, die sich im Schutz der Weiden von der Straße her dem Ufer näherte.
Es schien sich um einen Mann zu handeln. Er hatte einen länglichen Gegenstand geschultert, den der Junge
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