Laura - Venezianisches Maskenspiel
den Verstand verloren?!“
Sofia starrte sie aus tränenreichen Augen an. Eine schmale Tränenspur lief über ihre gepuderte Wange bis zum Kinn. „Aber ich wollte ihm doch nichts Böses ...“
„Du hast die Briefe gelesen! Aber du wolltest nicht ihm etwas antun, sondern mir, nicht wahr?!“ Sie schüttelte die etwas kleinere Frau wutentbrannt. „Weil du nur hierher gekommen bist, um Domenico für dich zu gewinnen, und dir seine Frau im Weg war! Du hättest dir doch denken können, dass es auf ihn zurückfällt, wenn du mich beschuldigst!“ Sie gab Sofia einen Stoß, der sie auf das Bett zurücktaumeln ließ. „Anna! Ich muss sofort gehen! Du musst mich begleiten!“
Anna rang die Hände. „Aber der Herr hat doch gesagt, wir dürfen Euch nichts sagen, sondern sollen Euch schlafen lassen!“
Laura lachte spöttisch. Sie war plötzlich hellwach, auch wenn ihre Knie immer noch ein wenig zittrig waren. Sie musste etwas unternehmen, und sie wusste auch schon was, selbst wenn ein ganz kleines niedriges Gefühl in ihrem Hinterkopf ihr sagte, dass Domenico jetzt nur bekam, was er verdient hatte. Ihre Zuneigung überwog jedoch, und nur wenige Minuten später saß sie neben Anna in der Gondel ihrer Schwiegermutter und ließ sich zu Ottavios Palazzo bringen. Im Arm hielt sie ein dickes Bündel.
* * *
Domenico stand in dem holzgetäfelten Raum vor den drei Inquisitoren, den drei ‚Schreckgespenstern’, wie man sie im Volk ebenso respektlos wie furchtsam nannte und musterte sie finster. Die Inquisitoren wurden für jeweils ein Jahr gewählt und dieses Mal setzten sie sich aus guten Freunden seiner Familie zusammen. Der in eine scharlachrote Toga gehüllte Vorsitzende, der capo, war sogar der beste Freund seines verstorbenen Vaters gewesen. Sie alle trugen die große, in Locken bis über die Schultern fallende weiße Allongeperücke und wirkten alleine schon durch ihren erhabenen Anblick einschüchternd. Nicht jedoch für einem zornigen Ehemann, der seine Frau soeben bei einer vermeintlichen Untreue ertappt hatte und dann von der Polizei abgeführt worden war, bevor er ihren flüchtigen Liebhaber aufspüren und ihm den Hals umdrehen konnte.
„Eine einzige anonyme Anzeige?“, fragte Domenico mit hochgezogenen Augenbrauen, nachdem man ihn mit den Vorwürfen gegen ihn konfrontiert hatte.
„Das genügt, um die Mehrheit des Rates der Zehn zu einer Anklage gegen mich kommen zu lassen?“ Diese Mehrheit war dazu erforderlich und meist bedurfte es dazu auch mehrerer Anzeigen oder einer verlässlichen Information durch einen Spion, bevor der Rat weitere Schritte unternahm. Ihn hatte man jedoch offenbar wegen weitaus weniger hierher verschleppt.
„Keine Anklage, Domenico“, erwiderte der capo. „Nur eine Befragung.“
„Eine Befragung, zu der ich durch die Büttel gerufen werde wie ein gemeiner Verbrecher? Wie ein Staatsfeind?“
Er bemühte sich um Ruhe und atmete einige Male tief durch. Zuerst Ottavio, den er mit Laura vorgefunden hatte, und nun eine Anhörung. „Wenn ich richtig verstanden habe“, sagte er endlich kalt, „dann wird mir vorgeworfen, heimliche Kontakte mit ausländischen Diplomaten gehabt zu haben?“
Der Freund seines Vaters hob die Hand. „Nicht Ihr, Domenico, sondern Eure Gattin.“
„Meine Gattin?!“
Der andere nickte. „Es wurde anonym Anzeige erstattet, dass Eure Frau sich regelmäßig mit einem französischen Diplomaten getroffen hat. Eigentlich sollte sie gemeinsam mit Euch hier erscheinen.“
„Sie fühlt sich nicht wohl“, erwiderte Domenico scharf. „Aber selbst wenn, hätte ich es nicht geduldet, dass man sie hierher bringt.“ Es war nicht das erste Mal, dass Domenico sich selbst hätte ohrfeigen können für diese Idee. Für beide Ideen. Für die erste – seine Frau anonym zu verführen - und für die zweite – sich für einen Franzosen auszugeben. Er hatte keine Ahnung, wie das herausgekommen war, aber offenbar hatte man sie belauscht. Vielleicht war es sogar der Diener in ihrem gemieteten Liebesnest gewesen, der sie belastet hatte.
„Ich nehme an, Ihr hattet genügend Gründe für diese Anzeige und Vorladung. Wenn ich mich auch frage, wie es sein kann, dass der Rat der Zehn, dessen Mehrheit für meine Verhaftung stimmen musste, so schwerwiegende Anschuldigungen vorliegen hat!“
Der capo lehnte sich vor. „Domenico, ich sage es nochmals: Dies hier ist keine offizielle Anhörung. Es dient eher dazu, Euch Gelegenheit zu geben, zu den Anschuldigungen gegenüber
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