Lauras Liebhaber
Erlebte.
Nach der ersten Runde hatte Tobias noch einmal mit Chloe geschlafen, diesmal in der klassischen Missionarsstellung. Laura hatte neben dem Kopfende gestanden, damit er sie sehen konnte – auch dieses Mal war schnell vorbei gewesen.
Er ist ein Schnellschuss, hatte sie dabei gedacht. Ihm geht es in erster Linie wirklich darum, beobachtet zu werden und beobachten zu können.
Als sie das Hotelzimmer verließen, hatte Chloe ihr von ihm ausgerichtet, dass sie toll und sehr attraktiv gewesen sei. Gegen ihren Willen fühlte Laura sich geschmeichelt. Es war wirklich eine merkwürdige Erfahrung gewesen.
Sie sah die Straßen, Passanten, Ampeln und Autos an sich vorbeiziehen und stellte dabei fest, dass sie sich nicht groß anders fühlte. Sie hatte befürchtet, dass sie sich danach vielleicht schämen würde oder angewidert von sich selbst sein könnte. Aber sie fühlte sich wie vorher, ihr kam alles so harmlos und unschuldig vor. Als das Taxi vor ihrem Haus hielt, wurde sie abrupt aus ihren Gedanken gerissen.
Chloe bezahlte den Fahrer, sie stiegen aus und gingen nach oben.
Nachdem sie nacheinander geduscht, gemütliche Klamotten angezogen und Essen gemacht hatten, saßen die beiden mit einer großen Tasse Tee am Küchentisch und aßen.
»Ich hab’s mir irgendwie anders vorgestellt. Ich weiß zwar nicht, wie, aber anders.«
»Das ging mir nach dem ersten Mal auch so. Aber schlaf erst mal eine Nacht drüber, und schau, wie es morgen früh ungeschminkt im Spiegel aussieht.« Chloe hob den Zeigefinger. »Aber ich weiß, was du dir sicher genau so vorgestellt hast.« Schnell stand sie auf und holte den Umschlag aus ihrer Tasche. Sie zählte einige Scheine ab und schob die Laura über den Tisch zu. Diese nahm die Scheine und zählte nach. Dann fragte sie überrascht: »Sechshundert Pfund? Ich dachte fünfhundert?«
Chloe lächelte. »Der Vorteil, wenn man neu und unverbraucht ist: Trinkgeld!«
»Wahnsinn, hast du auch Trinkgeld bekommen?«
»Wir haben zusammen tausendzweihundert bekommen, die habe ich fifty-fifty aufgeteilt.«
Laura sah wieder ungläubig auf das Geld – unglaublich, wie leicht es verdient war.
Am nächsten Morgen klopfte Chloe an Lauras Zimmertür, verwundert darüber, dass sie noch nicht zum Frühstück erschienen war. Sie hatten sich mittlerweile angewöhnt, zusammen zu frühstücken, und jetzt fürchtete Chloe, dass Laura der Job gestern doch zu schaffen gemacht hatte. Erleichtert nahm sie Lauras unbeschwertes »Herein!« zur Kenntnis.
Sie öffnete die Tür und lächelte. Laura saß am Zeichentisch und hatte offensichtlich nur die Zeit vergessen. Sie trug noch immer Pyjamahose und T-Shirt und hatte einen Fleck Kohle auf der Nasenspitze und einen unter der linken Augenbraue.
Chloe trat näher und blickte ihr über die Schulter. »Mein Gott, du bist ja talentiert!« Obwohl Laura die Züge ein wenig verfremdet hatte, erkannte Chloe sofort, dass sie Tobias porträtiert hatte – im vermutlich intimsten Moment, den ein Mann haben kann. Sie hatte seine Mimik perfekt eingefangen.
Chloe starrte bewundernd aufs Papier. »Das mag grenzwertig klingen, aber du solltest es Robert zeigen.«
Laura sah sie mit aufgerissenen Augen an. »So gut ist es nun auch wieder nicht.«
»O doch! Es ist großartig – der Wahnsinn.« Sie staunte einige Sekunden lang, dann sagte sie: »Es ist übrigens schon fast zehn.«
»Was? So spät schon? Mein Kurs ist um zwölf! Ich wollte nur das frühe Licht nutzen, nachdem mir der Gesichtsausdruck im Kopf herumgegeistert ist.«
»Also bist du doch von der Erfahrung heimgesucht worden?«
Laura stand auf und sah auf das Zeichenpapier mit Tobias’ ekstatisch aufgerissenem Mund. »Vielleicht, aber auf eine gute Art und Weise.« Dann drehte sie sich um und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Lippen, wobei sie noch mehr von der Zeichenkohle in ihrem Gesicht verteilte. »Vielleicht wirklich nicht schlecht«, stellte sie bescheiden fest. »Am besten komme ich noch ein paarmal mit dir mit und mache eine Serie von Zeichnungen. Und dann zeige ich sie vielleicht Robert.«
Chloe grinste. »Von mir aus – solange du vorher duschst. Du siehst aus, als wärst du durch einen Kohleschacht gekrochen.«
Seitdem sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, hatte Laura wirklich eine erstaunliche Wandlung durchgemacht, dachte Chloe bei sich, als sie zusammen den Nachtclub betraten. Es war noch nicht lange her, dass Laura sich unscheinbar und ein wenig schüchtern ihre Wohnung
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