Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
sagten die Doktoren, welche für die Wirklichkeit der Nase einstanden.
Die bezieht sich nur auf mögliche Dinge, versetzten die Lutheraner.
Bei Gott im Himmel! schrien die katholischen Doktoren, Er kann, wenn er es für passend hält, eine Nase machen, so groß wie der Straßburger Münsterturm.
Da nun aber der Straßburger Turm der dickste und höchste aller Kirchtürme der Welt ist, so leugneten die Antinasenmänner, dass man eine Nase von 575 geometrischer Fußlänge tragen könne, wenigstens nicht ein Mann von mittlerer Grösse. –
Die katholischen Doktoren schwuren, er könne es: – die lutherischen sagten: Nein, er könne es nicht.
Hieraus entspann sich ein neuer Streit über die Ausdehnung und die Beschränkung der moralischen und natürlichen Eigenschaften Gottes, den sie längere Zeit verfolgten. – Der Streit führte sie ganz natürlich zu Thomas Aquinas, und von Thomas Aquinas zum Teufel.
In diesem Streit hörte man nichts mehr von der Nase des Fremdlings; – sie tat jetzt nur noch den Dienst einer Fregatte, welche jene in den Golf der scholastischen Theologie schleppte, und dann segelten sie alle vor dem Wind.
Je weniger wirkliches Wissen, desto mehr Hitze und Aufregung.
Der Streit über Attribute, – statt die Einbildungskraft der Straßburger abzukühlen, – entflammte sie im Gegenteil in einem außerordentlichen Grade. – Je weniger sie von der Sache verstanden, desto grösser war ihre Verwunderung darüber; – sie sahen sich in allen Nöten unbefriedigten Verlangens – sahen ihre Doktoren, die Parchmentarier (Pergamentisten), die Brassarier (Messingisten), die Turpentarier (Terpentinisten) auf der einen Seite, – die katholischen Doktoren auf der andern, wie Pentagruel und seine Gefährten im Suchen nach dem Orakel der Flasche, [vgl.: Rabelais Liv. IV. Chap. 1 etc.] sämtliche außer Sicht in See.
Und die armen Straßburger standen am Ufer und hatten das Nachsehen. Was war da zu tun? – Man durfte nicht säumen; – die Aufregung stieg – Alles war aus Rand und Band – die Stadttore standen offen.
Ihr unglücklichen Straßburger! im Magazin der Natur, in der Rumpelkammer der Gelehrsamkeit, im großen Arsenal des Zufalls war auch nicht ein einziges Werkzeug, das nicht benutzt worden wäre, um eure Neugierde zu quälen, euer Verlangen auf die Folter zu spannen, das die Hand des Schicksals nicht gegen eure Herzen gerichtet hätte! – Ich tauche keineswegs die Feder in meine Tinte, um eure schließliche Ergebung zu entschuldigen, – nein, sondern um euer Lob zu singen. Man zeige mir eine so von Erwartung gefolterte Stadt, – die 27 Tage lang nicht aß, nicht trank, nicht schlief, nicht betete, nicht auf den Ruf der Religion und Natur hörte, und die es einen Tag länger ausgehalten hätte.
Am achtundzwanzigsten hatte der höfliche Fremdling versprochen, nach Straßburg zurückzukehren.
Siebentausend Kutschen (Slawkenbergius hat ohne Zweifel in seinen Zahlen einen kleinen Irrtum begangen), 7000 Kutschen, – 15,000 Einspänner, – 20,000 Leiterwagen, so voll gepfropft als möglich mit Senatoren, Ratsherren, Syndicis, – Beguinen, Witwen, Frauen, Jungfrauen, Domherren, Konkubinen, alle in ihren Kutschen: – die Äbtissin von Quedlinburg, mit der Priorin, der Dekanin, und der Untersängerin an der Spitze des Zugs in einer Kutsche, der Dekan von Straßburg mit den vier Großwürdenträgern seines Kapitels zu ihrer Linken, – die übrigen Einwohner untereinander hinterdrein, Einige zu Pferde, – Andere zu Fuß, – Einige geführt, – Andere gezogen, – ein Teil auf dem Rhein, – ein Anderer auf diesem und jenem Wege – Alle, Alle zogen vor Tagesanbruch aus, um dem artigen Fremdling unterwegs zu begegnen.
Nun rasch zur Katastrophe meiner Erzählung, – ich sage Katastrophe (sagt Slawkenbergius), da eine richtig gefügte Erzählung sich nicht nur der Katastrophe und Peripeitia eines Drama's erfreut (gaudet), sondern auch aller andern wesentlichen und integrierenden Teile eines solchen: – sie hat ihre Protasis, Epitasis, Katastasis, ihre Katastrophe oder Peripeitia, wobei die eine aus der andern nach der zuerst von Aristoteles festgestellten Ordnung hervorgeht, – ohne welche man lieber gar keine Erzählung macht, sagt Slawkenbergius, sondern sie bei sich behält.
In allen meinen zehn Erzählungen, in allen meinen zehn Dekaden habe ich, Slawkenbergius, jede Erzählung so fest und genau an diese Regel gebunden, wie die vorliegende von dem Fremdling und seiner
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