Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
gegen die Wassertore des Gehirns – wie sie nachgeben!
Darin schwimmt die Neugierde und winkt ihren Damen ihr zu folgen; – sie tauchen gerade in die Mitte der Strömung. –
Die Phantasie sitzt sinnend am Ufer, folgt mit ihren Augen dem Strom, und verwandelt Strohhalme und Binsen in Masten und Bugspriets. – Und das Verlangen, das Gewand mit der einen Hand bis zum Knie aufhebend, hascht mit der anderen, während sie vorüberschwimmen, danach.
O ihr Wassertrinker, ist es denn wirklich diese trügerische Quelle, womit ihr diese Welt so oft regiert und wie ein Mühlrad herumgetrieben – die Gesichter der Impotenten abgeschliffen, ihre Rippen bestreut – ihre Nasen bepfeffert und bisweilen sogar ihre natürlichen Gestalten und Gesichter verändert habt?
Wenn ich Sie wäre, sagte Yorick, so würde ich mehr Wasser trinken, Eugenius. – Und wenn ich Sie wäre, Yorick, erwiderte Eugenius, würde ich es auch tun.
Was beweist, dass sie beide den Longinus gelesen hatten.
Was mich betrifft, so bin ich entschlossen mein Leben lang kein anderes Buch zu lesen als mein eignes.
250. Kapitel
Ich wollte, mein Onkel Toby wäre ein Wassertrinker gewesen; denn dann hätte es sich erklären lassen, – dass in dem ersten Augenblick, da die Witwe Wadman ihn sah, sich etwas in ihr zu seinen Gunsten regte, – etwas – etwas!
Etwas – vielleicht mehr als Freundschaft, – weniger als Liebe, – etwas, – gleichviel was, – gleichviel wo; – ich gäbe nicht ein einziges Haar vom Schwanz meines Maultiers, und möchte es ihm nicht selbst ausreissen (denn das Vieh hat nicht viel zu verteilen und ist dabei etwas spitzig), wenn mich der geehrte Leser in dies Geheimnis einführen wollte.
Die Wahrheit ist jedoch, dass mein Onkel Toby kein Wassertrinker war; er trank es weder rein noch vermischt noch sonst irgendwie oder irgendwo, außer gezwungenerweise auf Vorposten, wo kein besseres Getränk zu haben war, – oder während der Zeit da er sich in der Kur befand; wo er es zu seiner Beruhigung trank, da ihm der Arzt sagte, es dehne die Fasern aus und bringe sie schneller in Kontakt.
Da nun alle Welt weiß, dass es keine Wirkung ohne Ursache gibt, und da ferner bekannt ist, dass mein Onkel Toby weder ein Leineweber noch ein Gärtner noch ein Gladiator war, – wenn er nicht als Kapitain zu den letzteren gezählt wurde; dann war er aber nur ein Infanteriekapitain und überdies ist das Ganze ein doppelsinniger Ausdruck – so bleibt uns nichts anzunehmen übrig – als dass es das Bein meines Onkels Toby war, – aber das hilft uns bei der vorliegenden Hypothese nichts, außer wenn es von einem Schaden am Fuß herrühren würde, – während sein Bein keineswegs in Folge einer Krankheit am Fuß geschwunden war, – denn das Bein meines Onkels Toby war überhaupt nicht geschwunden. Es war davon, dass es in den drei Jahren, wo er im Hause meines Vaters in der Stadt lag, gar nicht gebraucht wurde, etwas steif und ungelenk; es war aber dick und muskulös und in jeder anderen Beziehung ein so gutes und viel versprechendes Bein wie das andere.
Ich muss gestehen, ich kann mich keiner Meinung oder Begebenheit meines Lebens erinnern, wo mein Verstand mehr in Verlegenheit war, um Enden zusammen, und das eben geschriebene Kapitel mit dem zu schreibenden in Einklang zu bringen als eben jetzt. Es könnte Einer vielleicht wähnen, ich stürze mich absichtlich in Schwierigkeiten dieser Art, nur um neue Versuche machen zu können, wie ich wieder herauskomme. – Was bist du doch für eine unbedachtsame Seele! Wie! sind denn die unvermeidlichen Nöten, welche dich als Schriftsteller und Mensch auf allen Seiten hemmen, – sind sie nicht genügend, Tristram, musst du dich mit Gewalt in noch weitere und grössere verrennen?
Ist es nicht genug, dass du überschuldet bist und noch zehn Wagenladungen von deinem fünften und sechsten Band [Anm.: Bezieht sich auf die 1. Auflage] da liegen hast, – die noch immer – immer unverkauft sind, während du mit deinem Witz fast zu Ende bist, wie du sie los werden könntest?
Bist du nicht bis zur Stunde mit dem bösen Asthma behaftet, das du dir zugezogen, als du in Flandern gegen den Wind Schlittschuh liefst? Und hast du dir nicht erst vor zwei Monaten, als du einen Cardinal Wasser lassen sahst wie ein alter Chorist (nämlich mit beiden Händen) vor Lachen ein Gefäß in der Lunge zersprengt, wodurch du in zwei Stunden ebensoviel Schoppen Blut verlorst; und sagte dir die Fakultät nicht, wenn du das
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