Laurins Vermächtnis (German Edition)
diesen Leuten sollte man besser nichts zu tun haben. Hoffentlich geht der Kelch schnell an mir vorüber.“
Der Kelch, dachte sich Matthias, scheint nicht an ihm vorübergegangen zu sein.
Karl Jägers neue Aufgabe in Bozen hatte sich aus irgendwelchen Gründen offenbar verzögert. Jedenfalls fand sich in den weiteren Eintragungen von September und Oktober 1943 nur der Hinweis, man habe ihn angewiesen, sich im Jägerhof, seinem Elternhaus, zur Verfügung zu halten. Der junge Leutnant genoss Wochen eines unerwarteten Heimaturlaubs, verbrachte jede Minute mit seiner Frau Helene und versuchte, sich so wenige Gedanken wie möglich über die Zukunft zu machen, die er glaubte, jetzt noch weniger als vor seiner Verwundung beeinflussen zu können.
Wie wenig Karl Jäger Herr seines eigenen Schicksals war, wurde ihm von einem Tag auf den anderen vor Augen geführt:
3. November 1943
Jetzt ist es vorbei mit der Freiheit! Heute Morgen kam ein Mann und erklärte mir, er werde bis auf Weiteres im Jägerhof wohnen und arbeiten. Ich unterstünde ab sofort dem „Sonderstab Generalkommando III. Germanisches Panzerkorps“. Noch nie gehört von so einem Laden. Der Mann sagte, er sei SS-Sturmbannführer Dr. Wendig. Ich hätte für Unterkunft und Verpflegung für ihn und seine Mitarbeiter zu sorgen und dafür, daß ihre Arbeit durch nichts gestört würde. Wenn ich meine Aufgaben gut erfüllte, keinen Ärger machte und alles für mich behielte, was im Jägerhof geschehe, werde es Helene und mir gut ergehen. Er wolle mir nichts Schlechtes, habe aber keine Skrupel, mich einem SS-Standgericht zu übergeben, sollte ich seine Arbeit behindern.
4. November 1943
Seltsam - irgendwie ist der Jägerhof wieder eine Art von Hotel geworden. Vier Dutzend Männer, manche in zivil, andere in SS-Uniformen, haben das Haus in Beschlag genommen, Tische, Stühle, Bänke verrückt, Büros und Konferenzzimmer eingerichtet und es sich insgesamt recht gemütlich gemacht. Sie zahlen sogar für Unterkunft und Verpflegung - nicht weniger als unsere Gäste vor dem Krieg. Und meinen Sold bekomme ich einfach weiter. Es sieht aus und geht zu wie in einer Behörde. Wenn ich nur wüßte, was diese Leute alle machen. Der Mann, der sich Wendig nennt und als „Sturmbannführer“ angesprochen werden will, sagte, es handele sich um eine geheime Reichssache. Was hier stattfinde, sei kriegswichtig, und ich könne mich, wenn ich kooperiere, um das Vaterland verdient machen. Ausgerechnet ich! Nach allem, was man so hört, führen meine Vaterländer ja gerade Krieg gegeneinander. Ich sollte mich wahrscheinlich dankbar mit dieser Situation arrangieren: Wenn ich keinen Ärger mache, habe ich offenbar gute Aussichten, diesen Krieg zu überleben, und Helene hat von den Männern, die hier ihre kriegswichtigen Geschäfte besorgen, nichts zu befürchten. Diese Leute sind keine Marodeure, sondern Buchhalter. Und trotzdem widert es mich an. Ich bin kein Soldat mehr, ich bin ein Hausmeister. Ein freier Mann war ich auch als Soldat nicht, aber das hier ist demütigend.
Matthias fühlte sich unangenehm berührt, gerade so, wie wenn sein Großvater mit runtergelassener Hose vor ihm sitzen würde. Dieser stolze - ja, vielleicht manchmal etwas sehr stolze - Mann musste den Diener machen für graue Männer, von denen er nicht wusste, wer sie sind und was sie tun, und das alles in seinem Haus.
„Sonderstab Generalkommando III. Germanisches Panzerkorps“. Diesen Namen hatte Matthias noch nie gehört. Was sollte das sein? Er war so angespannt, dass es einige Augenblicke dauerte, bis er auf das Naheliegende kam: Er schaltete seinen Computer ein, ging ins Internet und googelte den seltsamen Namen.
22 Treffer.
Matthias ging die Liste durch und stieß auf einen Zeitschriftenartikel mit der Überschrift:
„Die größte Geldfälschungsaktion der Geschichte“ .
Matthias Jäger atmete tief durch. Er knetete seine Hände und las:
„Die Nazis waren nicht die Ersten, die Falschmünzerei als Kriegslist ersonnen haben. Aber niemand vor ihnen hat sie in einem solchen Ausmaß und mit einer solchen technischen Meisterschaft betrieben.
Der ursprüngliche Plan war es, Großbritannien mit gefälschten Pfund-Noten im wahrsten Sinne des Wortes zu überschwemmen - Flugzeuge sollten die Blüten tonnenweise über England abwerfen. Das Vertrauen der Briten in ihr Geld sollte zerstört und eine künstliche Inflation hervorgerufen werden. Nicht auszumalen, was ein Zusammenbruch der britischen Wirtschaft
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