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Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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Ihrer geschätzten Meinung womöglich, daß es in Zukunft zur Regel werden wird, daß Fotografen mit Kundinnen der Brautabteilung durchbrennen werden?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Wünschen Sie, daß künftig bei Aufnahmen einer unserer Leute von der Sicherheit dabei ist?«
    »Das wird kaum nötig sein, Mr. Carroll.«
    »Sie werden das Erforderliche veranlassen, damit so etwas nicht noch einmal geschieht?«
    »Das werde ich.«
    Er ließ den Bleistift hart auf die Schreibtischplatte fallen. Zu Kirkpatrick gewandt, meinte er müde: »Ich sage Ihnen, Russ, in diesem Job weiß man nie, was als nächstes passiert. Es ist ein Alptraum, ein ständiger Alptraum.«
    »Sieht so aus«, erwiderte Kirkpatrick.
    »Na, schön, Miß Evans«, sagte Mr. Carroll dann, Resignation in der Stimme. »Sie können zurückgehen in Ihre Abteilung. Aber versuchen Sie, mir einige Tage vom Halse zu bleiben, ja? Damit ich wenigstens einmal Luft holen kann.«
    »Ja, Sir.«
    »Bleiben Sie noch einen Moment, Russ, ich hätte Sie gern gesprochen«, setzte Mr. Carroll hinzu, und ich machte, daß ich davonkam. Ich setzte mich eilends und in bester Haltung ab, erstaunt, daß ich noch heil und ganz war. Wieder eine Krise überlebt.
    Doch mit meinen Gedanken blieb ich bei Nina Haysmill und Tommy Leeman. Ich sah sie noch immer vor mir, wie ich sie zuletzt gesehen hatte: Nina im Brautkleid, hochgewachsen, schön, voller Schmerz, bitterlich weinend — und Tommy, der sie in den Armen hielt und küßte. Und Tommy, der hinterher in meinem Büro so verzweifelt heftig gesagt hatte, es ist mir ernst damit... Teufel, es ist mir ernst mit diesem Mädchen.
    Liebe — einfach so? In der einen Minute waren sie sich noch fremd; in der nächsten klammerten sie sich aneinander, und die ganze Welt hatte sich aus trostlosem Grau in flimmerndes Gold verwandelt. Wie zauberhaft! Wie aufregend! Ich beneidete sie. Und ich fühlte mich entsetzlich schuldig, schämte mich furchtbar, weil ich sie verraten hatte, weil mir der Name dieses Hotels in Acapulco eingefallen war. Ich hätte meinen großen Mund halten sollen. Ich versuchte, mich mit dem Gedanken zu trösten, daß die Götter gütig auf junge Liebende herabzublicken pflegen; doch immer stimmt das nicht.

    Die Bräute strömten weiter heran. Ich plauderte ein wenig mit ihnen, wenn sie ankamen, lenkte sie höflich ab oder gab ihnen eine Beraterin.
    Dann, ungefähr eine Stunde später, stand plötzlich ein allerliebstes kleines Mädchen vor mir, ungefähr elf Jahre alt. Sie hatte einen goldblonden Pferdeschwanz, trug einen verknüllten, alten Regenmantel eng um die Taille geschnürt, Sandalen und weiße Baumwollsocken.
    »Hallo«, sagte ich. »Und was kann ich für dich tun?«
    Sie beguckte sich neugierig das überfüllte Foyer und die Mädchen, die vor den zwei langen Spiegeln auf und ab stolzierten, dann sagte sie mit einem tiefen Seufzer: »Ist dies die Brautabteilung?«
    »Ja.«
    Wieder ein Seufzer. »Kann ich bitte denjenigen sprechen, der hier die Leitung hat?«
    »Das bin ich.«
    Sie riß die Augen auf. »Sie? Würden Sie mir bitte Ihren Namen sagen?«
    »Miß Evans. Und wie heißt du?«
    »Lucy Brown.«
    Sie war so süß, wie sie dastand und mit großen, blauen Augen unschuldig zu mir aufsah, daß ich es nicht übers Herz brachte, ungeduldig mit ihr zu werden. »Nun, Lucy, was kann ich denn für dich tun?«
    »Bitte, Miß Evans. Ich möchte mir ein Brautkleid ansehen?«
    »Wie alt bist du denn, Lucy?«
    »Ich werde im August zwölf, Miß Evans.«
    »Bist du nicht ein kleines bißchen zu jung, um ans Heiraten zu denken?«
    Sie kicherte und verbarg das Gesicht in den Händen. Doch gleich wurde sie wieder ernst. »Ich will nicht heiraten, Miß Evans. Meine Schwester.«
    »Und wie alt ist deine Schwester?«
    »Sie ist einundzwanzig und heißt Helen. Helen Brown.«
    »Lucy, ich würde dir wirklich sehr gern ein Brautkleid zeigen, aber heute ist der schlimmste Tag der Woche. Siehst du die vielen Menschen? Sie alle wollen Brautkleider ansehen. Ob du wohl zu einer anderen Zeit wiederkommen könntest, wenn hier nicht so viel zu tun ist?«
    »So wie wenn, Miß Evans?«
    »So wie an einem Montag«, antwortete ich. »Das ist unser ruhigster Tag.«
    »So wie vormittags?«
    »Nein, so wie nachmittags.«
    »Okay, Miß Evans. Vielen Dank.« Damit machte sie kehrt und rannte hinaus, als ob ihr ein Dutzend Teufel auf den Fersen wären.
    In dem Moment sah ich Kirkpatrick wenige Meter von mir entfernt stehen, der mich beobachtete. Er trat

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