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Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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Gesicht zu haben, weiches, kastanienbraunes Haar, eine gute Figur und — in der Tat-einen fröhlichen, offenen, glücklichen Gesichtsausdruck. Sie warf mir einen interessierten Blick zu, als sie bemerkte, daß ich ihrem Angetrauten zulächelte, und er mußte eine Bemerkung gemacht haben, als ich weiterging, denn ich merkte, wie sie sich umdrehte und mir nachblickte. Wahrscheinlich sagte er aus dem Mundwinkel: »Das ist diese gräßliche Person aus Brautausstattungen, von der ich dir erzählt habe. Sie macht mir das Leben zur Hölle. Du wirst es nicht glauben, aber ich mußte ihr zwei offizielle Verweise erteilen.« Und Mrs. Kirkpatrick würde wahrscheinlich bemerken: »Wundert mich nicht. Man sieht es ihr an. Ich an deiner Stelle, lieber Schatz, würde sie ohne viel Federlesens an die Luft setzen.«
    Diese kleine Begegnung brachte mich reichlich aus der Fassung. Ich hatte vorgehabt, den Nachmittag damit zu verbringen, daß ich mir Bilder im Metropolitan Museum ansah, und als ich in einem Bus die Fifth Avenue hinauffuhr, war ich ärgerlich und durcheinander.
    Tizian und Rembrandt erfrischten mich allerdings wie immer, und als ich von einem Kunstwerk zum anderen durch das Museum wanderte, wurden meine Lebensgeister wieder munterer. Ein paar umherschlendemde junge Männer machten Annäherungsversuche; ich ließ sie lächelnd abblitzen. Ein großer junger Franzose heftete sich an meine Fersen und fragte verzückt, was für ein Parfüm ich benutzte; auch ihn schüttelte ich mit einem Lächeln ab. Offenbar war ich doch’ nicht so passée, wie ich mir eingebildet hatte, und auf der Rückfahrt im Bus fühlte ich mich durchaus wieder meiner Weiblichkeit bewußt.

    Am Montagmorgen begann alles wie üblich. Ich öffnete um neun Uhr die Abteilung, führte verschiedene Telefongespräche mit Fabrikanten, darunter ein langes mit Mr. Giachino, um die Verbindung zu ihm wieder aufzunehmen; und dann ging ich hinaus ins Foyer, um zu sehen, was dort vor sich ging. Ich erwartete Kirkpatrick neben dem Empfangspult zu finden, seine alberne Stoppuhr in der Hand, dräuenden Blickes die Zuspätkommenden erwartend — doch er war nicht da. Alice Pye teilte mir mit, daß er seinen Stoppfimmel an den Lohnsklaven in Miederwaren und Negliges austobte.
    Ich blieb im Foyer, bis um neun Uhr dreißig das Glockenspiel ertönte, plauderte mit Alice und den Beraterinnen, wie sie gerade vorüberkamen, und irgendwie sah der ganze Raum sonniger und heller aus als je zuvor. Die Blumen waren schöner; die Spiegel schimmerten wie Zauberspiegel aus einem Märchen von Hans Christian Andersen; und die Luft war erfüllt von einem köstlich zarten Duft, so, als befänden wir uns plötzlich auf einer Schweizer Bergeshöhe. Regelrecht erfrischt kehrte ich in mein Büro zurück.
    Fünf Minuten später klingelte das Telefon. Es war Alice Pye, leichte Hysterie in der Stimme: »Miß Evans, könnten Sie bitte ins Foyer kommen. Hier ist ein Mr. Harris, der Sie sprechen möchte.«
    »Ein Mr. Harris?« Ich forschte in meinem Gedächtnis, fand jedoch nichts. »Ich kenne keinen Mr. Harris. Was wünscht er? Ist er angemeldet?«
    »Bitte, Miß Evans. Bitte, kommen Sie.«
    Ich wiederholte, ein Mr. Harris sei mir nicht bekannt.
    »Miß Evans«, rief sie aufgeregt, »Sie müssen kommen. Er weint. Er sitzt hier auf einem Sofa und weint sich die Augen aus.«
    »Weint!« echote ich. »Weshalb, um alles in der Welt, weint er denn? Hören Sie, Alice: Sagen Sie ihm, wenn er weinen will, möge er das oben in der Herrentoilette im zehnten Stock tun, nicht im Brautsalon. Der ist für Bräute.«
    »Miß Evans, bitte, er weint wegen einer Braut.«
    »Na schön; ich bin gleich da.«
    Ich marschierte hinaus ins Foyer, entschlossen, ungerührt und hart zu sein. Mit einer verstohlenen Bewegung zeigte Alice auf ihn. Er saß auf einem Sofa, das Gesicht zur Wand gekehrt, ein untersetzter Mann in einem schwarzen Kaschmir-Überzieher. Auf dem Schoß hielt er einen schwarzen Homburg. Auf dem Boden standen zwei unserer weißgoldenen Verpackungsschachteln, und er preßte sie mit der einen Hand an seine Beine, als habe er Angst, sie zu verlieren. Zuerst war ich mir nicht sicher, ob er wirklich weinte, weil er so still saß. Doch dann sah ich, wie er sich die Augen tupfte, und daß die Tränen ihm nur so die Wangen herunterliefen. Er bot das Bild jener Art stillen, hilflosen Jammers, der mich umwirft, und ich erstarrte förmlich. Zwei Bräute mit ihren Müttern saßen im Foyer, sahen betreten und verlegen

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