Lautlos im Orbit (1988)
sagt sie, und ihre Stimme klingt immer noch ein wenig fremd, gleichsam tastend, als sei sie sich dessen, was sie ihm zu erklären beabsichtigt, nicht ganz sicher.
»Schon möglich«, räumt er ein. »Wir hatten kaum Basisinformationen zur Verfügung.«
Sie aber blättert wieder in dem Konzept herum, schweigt und grübelt.
»Wir benötigen ein zweites Auge«, fährt sie schließlich fort. »Eins, das visuell beobachtet, nicht auf dem Umweg über Radar, Laser, Röntgen oder ähnliches, sondern unmittelbar, verstehst du?«
Sie vermutet also Fehler oder Störungen in der Meßtechnik. Das wäre immerhin eine Möglichkeit, wenn auch nur eine einzige von mindestens hundert. Aber es wäre ein neuer Weg, eine neue Hoffnung.
»Ja!« stimmt er zu, und dabei erkennt er unvermittelt, daß sie noch nie direkten Sichtkontakt zu den fremden Orbitern aufzunehmen versuchten. Stets war irgendeine technische Einrichtung zwischengeschaltet.
Das bringt selbstverständlich zunächst ganz erhebliche Vorteile. Neben der ungleich größeren Durchdringungstiefe, dem höheren Auflösungsvermögen, gesteigerter Beobachtungsgeschwindigkeit und tausend anderen Komponenten, die effektives Beobachten und Messen überhaupt erst ermöglichen, ist es das einzige Verfahren einäugiger Entfernungsbestimmung. Dazu ist ein visuell funktionierender Apparat nicht imstande. Bei visueller Beobachtung werden zur Entfernungsmessung mindestens zwei Meßpunkte benötigt, die möglichst weit auseinander liegen sollten. Man braucht also eine Basis, deren Minimallänge weit über die Maße der Station hinausgehen müßte.
»Du meinst also, wir sollten Beobachtungssatelliten anfordern?« vergewissert er sich.
Doch Dora wiegt den Kopf. »Schnell bewegliche Raketen wären besser«, korrigiert sie. »Und bemannte vor allem. Zwei oder drei der neuen Arrows vielleicht.«
Während sie das sagt, überzieht eine fast hektische Röte ihr Gesicht, und er begreift, daß die Möglichkeit mehrfacher visueller Beobachtung der fremden Orbiter nicht der einzige Grund ihres Hinweises ist.
»Ich besitze die Zulassung als Pilot im erdnahen Orbit«, sagt sie da auch schon.
Und er nickt. »Zwei oder drei Space Arrows also!« Er weiß, daß sich ihr damit die bisher beste Chance bieten würde. Am Morgen eines dieser totenstillen Tage, an denen ihr lautlos um die Erde fallt, an denen sich tausend Meßfühler in das Nichts des erdnahen Kosmos tasten, an denen eure Augen tränen vom angestrengten Starren in konturenlose Finsternis, blendendes Licht und den Regenbogen über dem Horizont des Planeten, am Morgen eines dieser Tage heben sich ringsum in der Zentrale der Köpfe, und dann lauscht ihr einer Meldung, die über die Kanäle aller Sender des Landes verbreitet wird: Der Präsident habe sich unter dem Eindruck der internationalen Situation nach langem Abwägen zur Indienststellung eines Großsatelliten entschlossen und den unverzüglichen Beginn der Montagearbeiten im erdnahen Raum angeordnet.
Die Begründung ist ein weiteres Meisterwerk der Demagogie: Die USA seien im Interesse ihrer eigenen Sicherheit gezwungen, einen Ausgleich zu der momentanen Überlegenheit des Gegners, die infolge Einsatzes nichtregistrierter, neuartiger Gefechtsmittel erzielt worden sei, herbeizuführen.
Die neue Station werde über Abfangraketen mit Fusionssprengköpfen und über zu Batterien zusammengefaßte Protonenlaser verfügen, sie werde den Prototyp der modernsten Verteidigungsmittel der freien Welt repräsentieren. Die Feuerkraft ihrer Abwehrwaffen und das Durchdringungsvermögen ihrer modernen Aufklärungsmittel würden Beschädigungen, wie sie die Odin erlitten habe, ausschließen. Sie werde den stolzen Namen »Zeus« tragen, ein Gott werde zum Waffengang gegen die teuflischen Angreifer aus der vierten Dimension antreten.
Die Zeus werde sich auf derselben Bahn wie die Odin um die Erde bewegen, lediglich um eine halbe Umrundung versetzt, die beiden Stationen würden also die Erde stets zwischen sich haben.
Dies bleibt der einzige und dabei noch halbherzige Hinweis auf den wahren Status der Odin.
Die Reaktion in der Zentrale ist nahezu einheitlich: ein Aufatmen. Wenn diese zweite Station auch nie in das Sichtfeld oder den Meßbereich der Odin gelangen wird, die Zeit der Einsamkeit geht trotzdem zu Ende, es ist, als wäre ein Kind nach stundenlangem, angstvollem Alleinsein in einem dunklen Wald endlich auf einen Freund getroffen. Aufatmen also.
Harold Newman faßt es in Worte. »Na
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