Lautlose Jagd
der Norden schweigt dazu. Seine Kommandozentren melden nur ›Normalbetrieb‹. Hier und dort sind ein paar Einheiten des Ersten Korps auf dem Marsch, aber das ist bereits alles. Der Norden bleibt auffällig still.«
»Nun, auch hier scheint überall ›Normalbetrieb‹ zu herrschen«, stellte Whiting fest. Sie sah aus dem Beobachtungsraum auf die Großbildschirme hinunter, versuchte die dargestellten Informationen zu enträtseln und gab dann kopfschüttelnd auf. »Sonst noch etwas, Sanitäter?«
»Sind Sie schon mit Präsident Kwon zusammengetroffen?«
»Mit ihm treffe ich erst später zusammen«, sagte Whiting gereizt. »Er wo llte einer seiner Staffeln vor dem großen Massenstart ein paar aufmunternde Worte sagen. General Park hat mich hier herumgeführt.«
»Könnten Sie mich wissen lassen, wann Präsident Kwon eintrifft?«
Der Vizepräsidentin reichte es jetzt. »Hören Sie, Sanitäter, ich habe keine Lust, heute für Sie zu spionieren. Hier sieht alles ganz normal aus. Ich informiere Sie so schnell wie möglich, falls mir etwas Ungewöhn...«
In diesem Augenblick flog die Tür des Beobachtungsraums auf, und der Marine-Corps-Sergeant, der benommen, aber anscheinend nicht ernstlich verletzt war, wurde hereingestoßen. Dann kamen mehrere südkoreanische Soldaten mit schussbereiten Sturmgewehren M-16 in den Raum gestürmt.
Stützpunkt der Volksarmee,
Sunan, Demokratische Volksrepublik Korea
(zur gleichen Zeit)
»Warum hält dieser Zug?«, brüllte Oberst Cho Mun-san. »Egal, ich will's gar nicht wissen. Bringt ihn binnen zehn Minuten wieder in Fahrt, sonst lasse ich ein paar Soldaten kommen, die das können. Und jetzt Beeilung!« Aber unter der Diesellok, die Einheit 20 zog, quollen noch dunklere Rauchschwaden hervor, und Oberst Cho überschüttete weiter jeden Offizier, der das Pech hatte, ihm über den Weg zu laufen, mit einem wütenden Wortschwall.
Dies war nicht das erste Mal, dass Hauptmann Kong Hwan-li eine ballistische Rakete Nodong 1 sah, aber in unmittelbarer Nähe der stärksten Waffe seines Landes zu sein, faszinierte ihn immer wieder. Obwohl die Rakete noch in ihrem Behälter für den Bahntransport steckte, glaubte Kong, ihre ungeheure Kampfkraft spüren zu können.
Im Gegensatz zu der Rakete, an der er ausgebildet worden war der alten 8K14 Scud B aus sowjetischen Beständen -, war die Nodong 1 die erste wirklich treffsichere ballistische Rakete mit Kernsprengkopf, die Nordkorea besaß. Die Raketen des Baumusters FROG waren einfache, drallstabilisierte Waffen, und die Scud besaß wenig wirksame einfache Kurskreisel, die sie ins Ziel steuern sollten. Die Treffsicherheit beider Raketen lag bestenfalls bei 1000 Metern, und im Allgemeinen konnte man von Glück sagen, wenn sie ihr Ziel nur um drei bis fünf Kilometer verfehlten.
Ganz anders dagegen die Nodong 1 . Sie war mit einem richtigen Trägheitsnavigations-System ausgestattet, dessen computergesteuerte Beschleunigungsmesser sogar die Erdbewegung berücksichtigten, um ihre Treffsicherheit zu erhöhen. Tatsächlich war der Stabilisierungs- und Steuermechanismus des Gefechtskopfs der Nodong 1 dem des neuesten Scud-Baumusters überlegen. Obwohl die Nodong wie die Scud noch eine Rakete mit Flüssigkeitstriebwerk war, verwandte sie chemisch stabilere und weniger korrosive Treibstoffe und war unter Einsatzbedingungen leichter zu warten. Transportiert wurde sie in einem Spezialwaggon, der oberflächlich als gewöhnlicher Güterwagen getarnt war.
Eine einzelne Diesellok zog den Startwagen, einen Magazinwagen mit zwei weiteren Raketen, den Wartungswagen, den Kommandowagen und einen Wagen mit Bedienungspersonal und Wachmannschaften.
Hauptmann Kong bewunderte die schlichte und trotzdem elegante Konstruktion der Nodong. Vor seiner Versetzung in den Stab der Vierten Artilleriedivision war er in Cheung-son, dem nordkoreanischen Atomforschungs- und Ausbildungszentrum, an dieser Rakete ausgebildet worden. Nordkorea entwickelte noch stärkere Raketen wie die Daepedong 2 - eine ICBM, die Ziele in Nordamerika mit einem Nukleargefechtskopf mit 50 Kilotonnen Sprengkraft treffen konnte -, aber im Augenblick war die Nodong 1 ihre beste Abschreckungswaffe gegen eine kapitalistische Aggression.
Leider funktionierte diese Einheit überhaupt nicht gut. Alle Nodong-Züge wurden in einem riesigen Bunker zusammengestellt und mit einer Anzahl von Leerzügen, die zur Tarnung dienten, auf die Reise geschickt. Aber als Einheit 20 eben den Bunker verlassen hatte, war der
Weitere Kostenlose Bücher