Lautlose Jagd
amerikanisches Flugzeug mit den Südkoreanern gestartet ist. Tatsächlich ist die Verbindung zu meinen Kommandeuren in Südkorea abgerissen - offenbar sind die dortigen Befehlszentren jetzt ausschließlich mit Koreanern besetzt. Im Augenblick ist kein amerikanischer Kommandeur mehr zu erreichen.«
Er atmete tief durch, bemühte sich, seine Stimme unaufgeregt klingen zu lassen, und sagte in ruhigem Tonfall: »Hören Sie mir jetzt bitte gut zu, Präsident Primakow, Ministerpräsident Nagai und Minister Chi. Die Vereinigten Staaten werden weder in Korea noch sonst wo einmarschieren. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Es ist sehr wichtig, dass wir alle Ruhe bewahren, neutral bleiben und keine Truppen als Antwort auf diesen Konflikt mobilisieren. Dies scheint eine innerkoreanische Auseinandersetzung zu sein. Überlassen wir ihre Beilegung also den Koreanern.«
Dann herrschte so lange Schweigen, dass Martindale schon etwas sagen wollte, um sich zu vergewissern, dass die Verbindungen noch bestanden. Aber im nächsten Augenblick hörte er Präsident Primakows Stimme, und der russische Dolmetscher übersetzte:
»Auf welchem Stand befinden sich Ihre strategischen Streitkräfte gegenwärtig, Mr. President?«
»Die amerikanischen Atomwaffenträger befinden sich in normalem Bereitschaftszustand - das ist DEFCON FOUR«, antwortete Martindale. In Wirklichkeit wäre im Frieden der »Normalzustand« DEFCON FIVE gewesen. Aber seit die Chinesen Taiwan mit Kernwaffen angegriffen hatten - und da offiziell noch immer niemand wusste, wer unter dem Flugzeugträger USS Independence im Hafen Yokosuka einen Torpedo mit Nukleargefechtskopf hatte hochgehen lassen -, galt für die US-Streitkräfte wieder DEFCON FOUR - derselbe Bereitschaftsstand wie im größten Teil des Kalten Kriegs.
Um zur Entspannung der internationalen Lage beizutragen, hatten die Vereinigten Staaten im Jahr darauf jedoch einseitig beschlossen, nicht nur alle ihre Land gestützten ICBMs aus den Silos zu holen und einzulagern, sondern auch sicherzustellen, dass alle ihre Bomber und Jagdbomber nur noch konventionelle Waffen tragen konnten. Damit wurde erreicht, dass alle Supermächte etwa gleich viele Kernsprengköpfe besaßen. Diese Entscheidung hatte Martindale in Amerika viel Kritik gebracht, aber sie hatte dazu beigetragen, die Angst vor einem neuen Kalten Krieg zu verringern. »Unsere gegenwärtig einzigen Kernwaffenträger sind unsere Atom-U-Boote - keine Land gestützten Raketen, keine Flugzeuge«, sagte Präsident Martindale. »Nicht einmal unsere Stealthbomber. Daran haben wir uns in den vergangenen zwei Jahren gehalten. Ich erkläre Ihnen nochmals: Die Vereinigten Staaten wollen mit niemandem Krieg führen, erst recht keinen Atomkrieg.«
»Dann müssen Sie Präsident Kwon anweisen, seine Luftwaffe aus Nordkorea abzuziehen und alle Kampfhandlungen einzustellen«, verlangte der chinesische Verteidigungsminister. »Die Vereinigten Staaten sind vielleicht nicht direkt beteiligt, aber dieser Angriff wäre ohne ihre substanzielle Unterstützung nicht möglich gewesen. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, dass die Vereinigten Staaten den Südkoreanern keinerlei Unterstützung dieser Art mehr gewähren und sie zum Rückzug zwingen.«
»Ich kann diesen Wunsch äußern, Herr Minister«, antwortete Martindale müde, »aber ich erkläre nochmals: Die Vereinigten Staaten unterstützen die Südkoreaner in keiner Weise. Ich habe versucht, Präsident Kwon zu erreichen, aber das ist mir nicht gelungen - zweifellos sind die Nachrichtenverbindungen durch die nordkoreanischen Kernwaffendetonationen gestört und werden es bestimmt noch länger bleiben. Aber Sie können den Status der amerikanischen Streitkräfte in aller Welt überprüfen und sich davon überzeugen, dass wir ihren Bereitschaftsstand nicht geändert und auch keine Reserven mobilisiert haben. Ich bitte Sie alle, unserem Beispiel zu folgen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass wir uns nicht verteidigen sollen?«, fragte der japanische Ministerpräsident Nagai aufgebracht.
»Darauf würden wir uns nicht einlassen, Sir!«
»Ich sage nicht, dass Sie sich nicht verteidigen sollen - Sie sollen nur keine Verstärkungen oder strategischen Einheiten mobilisieren, bis wir alle Gelegenheit gehabt haben, die Lage auf der koreanischen Halbinsel zu analysieren«, erwiderte Martindale.
»Verlegen Sie keine Truppen als Reaktion auf eine Situation, die nicht wirklich existiert.«
»Und was ist mit den amerikanischen Einheiten,
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