Lautlose Jagd
Furness war ebenfalls da... und nein, er war dort drinnen nicht willkommen.
»Kein Grund zur Sorge, Rodeo«, sagte sie mit ihrer kratzigen Raucherstimme. »Lass ihnen Zeit. Irgendwann nehmen sie dich wieder auf.«
»Zeit ist ausgerechnet etwas, das ich nicht habe, Marty«, erklärte Rinc ihr.
»Denk jetzt an nichts anderes als deinen morgigen Überprüfungsflug«, forderte sie ihn auf. Sie kannte den Dienstplan immer so gut, als stünde sie auf dem Verteiler der Operationsabteilung.
»Du beweist ihnen einfach, was du kannst. Du bist kein Angehöriger der Aces High, weil sie dich ins Hinterzimmer lassen. Du gehörst dazu, weil du hast, was man dafür braucht.«
Sie merkte, dass Rinc wieder zur Totentafel hinübersah. »Vergiss das auch, Rodeo.« Aber sie bot ihm nicht an, das Foto von der Wand zu nehmen. Das hätte sie ohnehin nicht gekonnt. Die Totentafel war sakrosankt. Auch wenn ein Anschlag verletzend oder sogar rachsüchtig war, durfte niemand, nicht einmal Martina, es wagen, ihn auch nur anzurühren.
»Hat dieses Arschloch Long Dong das Foto aufgehängt?«
»Long Dong ist echt ein Arschloch. Aber du darfst dich nicht von ihm ärgern lassen.« Rinc fiel auf, dass sie seine Frage nicht beantwortet hatte. »Hör mir jetzt gut zu, mein Junge«, sagte sie und tippte ihm mit einem wurstartigen Zeigefinger an die Brust. »Trag deinen Kopf hoch wie ein Mann und schäm dich nie wegen irgendwas, das jemand über dich sagt - auch Wenn's eine verdammte Lüge ist. Merk dir das!« Und dann ließ sie ihn allein.
Rinc breitete seine Betriebshandbücher, Luftfahrtkarten und Zielunterlagen vor sich aus und wollte sie ein letztes Mal durchgehen, aber die Wörter und Bilder verschwammen vor seinen Augen. Er ließ die Unterlagen auf dem Tisch liegen - Martina würde darauf achten, dass niemand sie anrührte -, nahm sein Glas mit, ging nach draußen und stieg die frisch gestrichene Holztreppe zum Flachdach hinauf. Dort setzte er seine Sonnenbrille auf und nahm auf einer Metallbank Platz. Der Himmel war eis-blau. Die Luft war kalt, aber die Sonne wärmte angenehm. Über dem Mount Rose im Westen bildeten sich erste Haufenwolken, und die über 2500 Meter hohen Gipfel der Sierra Nevada trugen noch immer eine dünne Schneedecke.
Da es nahezu windstill war, benutzte der Tower die nach Norden ausgerichteten Start- und Landebahnen. Während Rinc zusah, verließen zwei Bomber B-1B ihre Abstellpositionen und rollten vor einer Boeing 727 der Reno Air zur Startbahn 34 links. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Fluggäste sich die Hälse verrenkten, um einen Blick auf die großen Bomber zu erhaschen, während das Verkehrsflugzeug an den abgestellten Maschinen der Air National Guard vorbeirollte. Am Ende des Rollwegs bogen die B-1B auf den von hohen Stahlwänden umgebenen »Wendehammer« ab, um die Boeing 727 vorbeizulassen. Dorthin folgte ihnen der SOF (Supervisor of Flying), ein erfahrener Pilot, der den Auftrag hatte, mit seinem Dienstwagen eine Runde um die Bomber zu drehen, sie abschließend zu inspizieren und sich davon zu überzeugen, dass alle Blindstopfen und Warnflaggen abgenommen und die Maschinen startklar waren.
Die wabenförmigen Stahlwände um die Wartefläche dienten angeblich dazu, Verkehrsflugzeuge für den Fall zu schützen, dass eine Maschine eine Bombe verlor, die auf der Runway detonierte.
Aber heutzutage wurden fast alle B-1B-Einsätze mit Übungsbomben geflogen: mit kleinen »Bierdosen«-Bomben oder mit Beton ausgegossenen Bombenkörpern. Da die 111th Bomb Squadron nur eine Reserveeinheit war, hatte sie kein eigenes Munitionslager. Alle für ihre B-1B vorgesehenen Waffen lagerten in der Nähe der Naval Air Station Fallon und würden auf der Schiene hertransportiert werden. Die Stahlwände waren ohnehin nur Augenwischerei: eine Tausendkilobombe Mark 84 hätte in einer halben Meile Umkreis jedes Flugzeug und praktisch jeden anderen oberirdischen Gegenstand demoliert.
Nachdem die Boeing 727 gestartet war, rollte der erste Bomber zum Haltepunkt, an dem sein Pilot die Triebwerke mit voller Startleistung arbeiten ließ. Den Start einer B-1B Lancer zu beobachten, war für Rinc noch immer so aufregend wie beim ersten Mal vor über zehn Jahren. Mit voll gespreizten Schwenkflügeln wirkte die auf langen, dünnen Fahrwerksbeinen stehende B-1B riesig, und als der Pilot seine Leistungshebel nach vorn in Nachbrennerstellung schob, raste der Bomber wie ein Gepard die Startbahn entlang.
Der Krach war nicht allzu schlimm
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