Lautloses Duell
bisschen zu lang trug, wie Gillette fand. Hängende Schultern, bärenhafte, birnenförmige Figur. Er machte einen ruhigen Eindruck. Auf Grund seines Alters vermutete Gillette, dass er aus der zweiten Generation von Computerprogrammierern stammte, aus der Riege von Männern und Frauen, die in den frühen siebziger Jahren die Innovatoren in der Computerwelt gewesen waren.
Der dritte im Team war Tony Mott, ein gut gelaunter Bursche um die Dreißig mit langem glattem Haar und einer Oakley-Sonnenbrille, die an einer leuchtend grünen Schnur an seinem Hals hing. Seine kleine abgeteilte Arbeitsecke des Großraumbüros war mit Fotos von ihm und einer hübschen Asiatin beim Snowboarden und Mountain-Biking tapeziert, auf dem Schreibtisch lag ein Sturzhelm, aus einer Ecke ragten die Schäfte von Ski-Stiefeln hervor. Er repräsentierte die neueste Hacker-Generation: athletisch, risikobereit, vor der Tastatur ebenso heimisch wie auf dem Skateboard in der Halfpipe oder bei allen möglichen Extremsportarten. Gillette entging auch nicht, dass Mott derjenige mit der größten Pistole an der Hüfte war, einer silbern glänzenden Automatik.
Wenn du auch nur irgendwie schräg guckst und mir dieser Blick nicht gefällt, muss ich dir ganz übel wehtun.
Während er sich umsah, konnte Gillette das Summen der alten IBMs, Honeywells und Control Datas beinahe hören, sogar das charakteristische Klacken, wenn die Spulen der Magnetbänder umschalteten, was die Bänder manchmal im wahrsten Sinne des Wortes über den Boden hüpfen ließen (hin und wieder, wie »wahre« Computerstories behaupteten, hatten sie damit sogar arglose Techniker an die Wand genagelt).
Der CCU stand sogar eine Empfangsdame zu, die zurzeit jedoch krank gemeldet war. Die Abteilung rangierte in der Hierarchie der State Police ganz unten (die anderen Kollegen bezeichneten sie meistens verächtlich als »Streberkommando«), und die Verwaltung sah sich nicht genötigt, für eine Vertretung zu sorgen. Also musste die Belegschaft bis auf weiteres ihre Anrufe selbst entgegennehmen, die gesamte Post allein durchsehen und abheften. Verständlicherweise war keiner von ihnen davon besonders begeistert.
Gillettes Blick fiel auf eine von mehreren abwaschbaren weißen Plastiktafeln, die offensichtlich zum Sammeln von Hinweisen benutzt wurden. Auf einer klebte ein Foto. Er konnte nicht genau erkennen, was darauf zu sehen war, und ging näher hin. Dann hielt er die Luft an und blieb schockiert stehen. Die Aufnahme zeigte eine junge Frau in einem orangeroten Rock, mit nacktem Oberkörper. Sie war blutverschmiert und bleich, lag im Gras und war offensichtlich tot. Gillette wandte sich erschrocken ab.
Er hatte jede Menge Computerspiele gespielt –
Mortal Combat, Doom, Tomb Raider
und wie sie alle hießen –, aber so grausig diese Spiele auch waren, sie wirkten harmlos im Vergleich zu der stummen Gewalt, die einem echten Opfer angetan worden war.
Anderson schaute auf die Wanduhr. Keine Digitalanzeige, wie es sich für eine Computerzentrale gehörte, sondern ein altes, eingestaubtes Analogmodell mit einem großen, einem kleinen und einem Sekundenzeiger. Es war genau zehn Uhr vormittags. »Wir gehen diesen Fall von zwei Seiten an«, sagte der Polizist. »Die Detectives Bishop und Shelton führen die üblichen Ermittlungen bei einem Mordfall durch. Die CCU kümmert sich mit Hilfe von Wyatt um die Computergeschichte.« Sein Blick fiel auf ein Fax auf seinem Schreibtisch, und er fügte hinzu: »Außerdem erwarten wir eine Beraterin aus Seattle namens Patricia Nolan. Sie ist Expertin für Internet und Online-Systeme und müsste demnächst hier eintreffen.«
»Von der Polizei?«, erkundigte sich Shelton.
»Nein«, antwortete Anderson. »Keine von uns. Aber wir haben sie auf Herz und Nieren überprüft, alle ihre Papiere durchgecheckt.«
»Wir greifen oft auf Sicherheitsleute aus den Firmen zurück«, erklärte Miller ergänzend. »Die Technologie verändert sich so rasend schnell, dass wir nicht mit sämtlichen neuen Entwicklungen mithalten können. Die Verbrecher sind uns immer einen Schritt voraus. Deshalb lassen wir uns dort, wo es geht, von privaten Beratern unter die Arme greifen.«
»Meistens sind sie ganz wild darauf, uns zu helfen«, sagte Tony Mott. »Inzwischen ist es richtig schick geworden, wenn man in seinem Lebenslauf vermerken kann, dass man einen Hacker dingfest gemacht hat.«
Anderson drehte sich zu Sanchez um: »Wo hast du den Computer von Lara Gibson?«
»In der
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