LaVyrle Spencer
auch.«
»Da du mich gefragt hast, frage ich
jetzt dich: Bist du glücklich?«
»Ja. Und
weißt du, was mich verändert hat?«
»Was?« Er blickte sie aus den
Augenwinkeln an und sah, daß sie ihn betrachtete.
»Melissa«, antwortete sie sanft.
»Wie oft habe ich sie angesehen und den Impuls unterdrückt, dich anzurufen und
dir zu danken, daß du sie mir gegeben hast.«
»Warum hast
du es nicht getan?«
Er sah sie so lange an, daß sie
befürchtete, er würde den Wagen in den Graben lenken. Catherine hob nur hilflos
die Schultern, weil sie die Antwort auf seine Frage nicht wußte. Dann blickte
er wieder auf die Straße, und ihr wurde bewußt, wie vertraut ihr sein Profil
war. Einem Impuls folgend legte sie ihre Hand unter sein Kinn und küßte ihn auf
die Wange. »Das ist von uns beiden – von Melissa und mir. Weil ich glaube, daß sie ebenso dankbar ist,
mich zu haben, wie ich dankbar bin, sie zu haben.« Catherine rutschte wieder in
ihren Sitz zurück und fügte hinzu: »Weißt du, Clay, ich bin eine wunderbare
Mutter. Frag mich nicht, wie es passiert ist, aber ich weiß, daß ich es bin.«
Er konnte ein Grinsen nicht
unterdrücken. »Und bescheiden noch dazu.«
Sie kuschelte sich zufrieden in
ihren Sitz. »Ich habe nicht sehr viele gute Eigenschaften, aber Melissas Mutter
zu sein ... nun, das finde ich einfach großartig. Seit ich wieder zur
Universität gehe, ist es etwas schwieriger geworden, aber ich vernachlässige
lieber die Hausarbeit, um mehr Zeit für Melissa zu haben. Ich muß allerdings
eingestehen, daß ich froh bin, wenn das Semester vorbei ist, dann muß ich meine
Zeit nicht mehr so einteilen.«
Der Kuß war nur ein Ausdruck ihrer
Dankbarkeit gewesen. Clay war bewußt, daß Catherine ein ausgefülltes und
glückliches Leben führte. Clay hörte ihren Erzählungen über ihre täglichen
Erlebnisse mit Melissa zu und mußte sich eingestehen, daß er eifersüchtig
darauf war, daß sie diese Zufriedenheit und dieses Glück nicht im
Zusammenleben mit ihm gefunden hatte. Ihre Bemerkung, daß sie wieder Verabredungen
traf, riß ihn aus seinen Gedanken. Er unterdrückte einen Anflug von Ärger und
Eifersucht und fragte: »Und wie fühlst du dich dabei?«
»Fantastisch!« Sie klatschte in die
Hände. »Einfach fantastisch! Ich kann jetzt ohne jedes Schuldgefühl küssen.
Manchmal gefällt es mir sogar.«
Sie sah ihn mit einem verschmitzten
Grinsen an, und beide lachten. Und der Gedanke an diese Küsse brodelte in
seinem Kopf, und er fragte sich, wen sie küßte. Aber er hatte kein Recht, sie
danach zu fragen.
Sie blieben über zwei Stunden im Mullions, bis Angela alles über Melissas Spielzeug, ihre Zähne und Impfungen wußte.
Während der ganzen Zeit fühlte sich Catherine völlig frei und unbefangen. Clay
sprach wenig, beobachtete die meiste Zeit Catherine und verglich sie mit der
Frau, die sie früher gewesen war. Und ganz unbewußt verglich er sie mit Jill.
Er fragte sich, ob sie nur mit einem oder mit mehreren Männern ausging. Er nahm
sich vor, sie danach zu fragen, wenn er sie zu ihrem Auto zurückfuhr.
Doch als sie aufbrachen, wies
Catherine darauf hin, daß ihr Auto eher an der Route von Claibornes und Angelas
Heimweg lag, und sie fuhr mit ihnen.
29
Clay stand am Fenster des Apartments,
das er mit Jill teilte, und starrte auf den zugefrorenen Minnetonka-See hinaus.
Es war neblig und kalt. Clay beobachtete die Enten, die in einer offenen Bucht
Zuflucht vor dem eisigen Schneewind suchten. Es war jetzt Anfang Dezember, und
er fragte sich, warum er in den Herbstmonaten weder Lust noch Zeit gehabt
hatte, zusammen mit seinem Vater auf die Jagd zu gehen. Er vermißte seinen
Vater sehr, aber der Kontakt zu seinen Eltern beschränkte sich auf
gelegentliche Telefonanrufe, denn sie mißbilligten in zunehmendem Maße sein
Zusammenleben mit Jill.
Er sah Jills Wagen vorfahren und in
der Garage verschwinden. Ein paar Minuten später hörte er, wie sie die Tür
aufschloß. Normalerweise wäre er ihr entgegengeeilt, doch heute blieb er vor
dem Fenster stehen und starrte trübsinnig in die frostige Dämmerung hinaus.
»Mein Gott, ist das kalt! Ich hoffe,
du erwartest mich mit einem schönen, heißen Grog«, sagte Jill. Sie ging auf
Clay zu und verstreute Handschuhe, Schal und Mantel nachlässig auf die Sessel.
Clay ärgerte sich darüber, denn er hatte gerade die Wohnung aufgeräumt. Jill
schob ihren Arm durch den seinen und rieb ihre kalte Nase an seiner Wange.
»Ich mag es, wenn du vor mir
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