Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Bennings.
»Das habe ich mich selbst natürlich auch gefragt, zumal man ihm einen gewissen Fanatismus nicht absprechen kann. Ich weiß es nicht. Rickmers war nicht sein größter Gegner, auch wenn er gute Verbindungen nach Kiel gehabt zu haben scheint. Brar Arfsten ist für Wiese viel gefährlicher, und dieser Paulsen ist auch meiner Meinung nach einer, den man nicht unterschätzen darf. Aber es gab auch Momente, ich denen ich gedacht habe, dass Wiese für sein Ziel durchaus über Leichen gehen könnte.«
»Verdammt«, fluchte Dieter Bennings. »Wir stecken in einer Sackgasse. Wiese und Albertsen hätten ein Motiv; Hilke Rickmers und Brar Arfsten kann man zumindest nichts nachweisen. Diesem Heinz Baginski traue ich jede Dämlichkeit zu, aber keinen Mord, nicht einmal einen Totschlag im Affekt. Paulsen und Mareen Olsen haben Alibis, Maarten Rickmers ebenfalls, zumal der wohl auch gar kein Motiv hat.«
Lena zog ihre Stirn bei dieser Zusammenfassung in Falten, sagte aber nichts dazu.
»Vielleicht müssen wir die Sache ganz neu andenken«, überlegte Leander. »Was geben die Spuren in der Hütte her?«
»Blut und Sperma«, antwortete Bennings verkürzt und resigniert.
»Und Scheidensekret von mehreren Frauen«, ergänzte Lena, wobei sich ihre Stirnfalten noch einen Deut vertieften.
»Vögelkoje«, murmelte Leander und legte grübelnd seinen rechten Zeigefinger an die Lippen. »Moment, ich hole Tom her. Vielleicht kann der uns aus der Sackgasse helfen.«
Er lief hinüber zu dem Tisch, an dem Tom Brodersen und Götz Hindelang noch immer in ein Gespräch vertieft waren und Eiken und Elke inzwischen damit begonnen hatten, Teller und Besteck aufzudecken. Tom ließ sich nur widerwillig loseisen, aber schließlich folgte er Leander zurück zum Gartenzaun.
»Tom, du hast mir neulich von außerehelichen Treffen einiger Ratsherren mit ihren Freundinnen in der Boldixumer Vogelkoje erzählt«, begann Leander. »Was genau ist da dran?«
»Gerüchte«, wiegelte Tom Brodersen ab, fuhr aber fort, als er Leanders drängenden Blick sah: »Angeblich treffen sich in der Vogelkoje gelegentlich einige Honoratioren – nicht nur Ratsherren – mit zweifelhaften Damen.«
»Wir haben in der Vogelkoje DNA-Spuren von mehreren Männern und Frauen gefunden«, übernahm Lena die Gesprächsführung. »Das deutet darauf hin, dass es sich nicht nur um ein Gerücht handelt. Kannst du uns sagen, Tom, wer genauer Bescheid weiß?«
»Vergiss es«, entgegnete Tom. »Du wirst von niemandem etwas Genaueres erfahren. Über solche Dinge redet man auf der Insel nicht, schon gar nicht mit Fremden.«
»Kannst du dann etwas erfahren?«, ließ Leander nicht nach. »Schließlich sitzt du an der Quelle.«
Tom Brodersen überlegte einen Moment lang und kämpfte sichtlich gegen seinen inneren Schweinehund, der ihm offenbar dringend davon abriet, seine Ratskollegen auszuspionieren.
»Ich will sehen, was ich herausbekomme«, gab er schließlich nach. »Aber lasst mich bloß nicht im Regen stehen. Wenn irgendjemand erfährt, dass eure Informationen von mir stammen, kann ich mein Mandat niederlegen und am besten sofort aufs Festland übersiedeln. Dann werde ich auf der Insel für alle Zeiten zur Unperson erklärt.«
»Danke, Tom«, sagte Leander und klopfte ihm leicht mit der Hand auf die Schulter.
»Da ist noch etwas anderes«, fuhr Lena fort. »Wie war das damals mit Günter Wieses Antrag, einen Naturerlebnishof zu bauen?«
»Oh, das war eine ganz böse Sache.« Dieses Thema fand Tom Brodersen offensichtlich nicht so heikel wie das vorherige. »Ich war damals nahe daran, aus meiner Partei auszutreten. Das Konzept, das Wiese vorgelegt hat, war klasse, ehrlich. Im Grunde hätte man nur ein paar abwasserrechtliche Fragen klären müssen, dann wäre eine Genehmigung überhaupt kein Problem gewesen. Aber die beiden großen Fraktionen haben ein richtiges Fass aufgemacht. Und meine Leute haben sich auch nicht mit Ruhm bekleckert. Ich kann Anna Wiese heute noch nicht in die Augen gucken, so sehr ist sie damals unter Druck gesetzt worden. Das war ein richtiges Spießrutenlaufen für die arme Frau. Soweit ich weiß, ist daran fast ihre Ehe zerbrochen. Ehrlich, ich bewundere sie dafür, dass sie heute immer noch den Mut hat, mit ihren alten Gegnern in der eigenen Partei zusammenzuarbeiten.«
»Warum haben sich die Grünen nicht einfach auf Wieses Seite gestellt, wenn die Pläne so überzeugend waren?«, wunderte sich Bennings. »Ich denke, ihr seid die einzig wahre
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