Leander und die Stille der Koje (German Edition)
nötige Einsicht, zumal die Bauern nicht mehr ganz so schlimm jammern könnten, wenn sie einen Nachweis der tatsächlichen Schäden erbringen müssten. Ich unterstelle mal ganz ungeschützt, dass die nicht so hoch sind, wie jetzt immer behauptet wird. Tja, nun wissen Sie, was mich momentan so viel Kraft kostet. Mit Nahmen Rickmers hatte ich immerhin einen Ansprechpartner, der nicht ganz so borniert war und einen gewissen Einfluss auch auf Brar Arfsten und Ole Paulsen hatte.«
»Kennen Sie eigentlich Frau Rickmers und ihren Sohn näher?«, fiel Lena plötzlich ein.
Albertsen schüttelte den Kopf. »Nein, Rickmers’ Familie kenne ich nicht. Ich gehöre nicht zu denen, die auf die Feiern der High Society eingeladen werden. Nur Brar Arfsten kenne ich näher, weil ich mit ihm schon öfter verhandelt habe.«
»Wie schätzen Sie seine Art von Betrieb ein?«
»Arfsten ist, was die Haltung seiner Tiere angeht, im Vergleich zu anderen Großerzeugern sehr fortschrittlich. Aber nur weil seine Kühe sich innerhalb einer Scheune einigermaßen frei bewegen können, ist das noch lange keine artgerechte Haltung. Sein Betrieb und Elmeere sind sozusagen die gegenseitigen Pole in diesem Spiel: Er setzt auf vollständige Technisierung, wir auf vollständige Renaturierung. Da einen Kompromiss zu finden, ist nur sehr schwer möglich.«
»Ist Arfsten ein harter Gegner?«, brachte Lena ihre Frage auf den Punkt.
»Härter als Rickmers, so viel ist klar. Er hat halt eindeutige ökonomische Interessen, die es zu verteidigen gilt.«
»Wenn ich das richtig sehe, ist der Tod Rickmers’ für Sie also tatsächlich kein Vorteil.«
Albertsen schüttelte den Kopf und grinste jetzt sogar. »Ganz im Gegenteil. Ich fürchte, dass uns der Wind von nun an schärfer um die Nase wehen wird, und genau daran habe ich überhaupt kein Interesse – und ich habe auch nicht mehr die nötige Kraft dazu.«
Lena und Dieter Bennings erhoben sich und wandten sich dem Ausgang zu. »Sollten Sie noch einmal einen Drohbrief bekommen, werfen Sie ihn bitte nicht weg, sondern bringen Sie ihn der Polizei«, riet Lena.
Die Beamten verabschiedeten sich und verließen die Praxis. Sie setzten sich in ihr Auto, fuhren bis zum Parkplatz am Utersumer Kurhaus und gingen über den Holzsteg hinauf auf den Deich und dann die wenigen Stufen hinunter an den Strand. Der höchste Stand der Flut war überschritten. Das Wasser floss wieder ab, was sich zwar noch nicht an der Breite des feinsandigen Strandes bemerkbar machte, der mit Strandmuscheln und Decken dicht belegt war, aber die Strömung war bereits sehr stark und zog die badenden Kinder innerhalb von Sekunden mehrere Meter parallel zum Strand.
Draußen vor der Insel waren die Nordspitze Amrums und rechts daneben in einiger Entfernung die Südspitze Sylts klar erkennbar. Die Dünen Amrums rückten optisch geradezu in greifbare Nähe, wenngleich von hier aus keine Menschen erkennbar waren. Von Sylt waren sogar die Hochhäuser von Westerland in ihren Umrissen auszumachen.
Der Sog des ablaufenden Wassers war so stark, dass Lena und Bennings sich über die Gefahr, hier zu weit rauszuschwimmen, sofort einig waren. Wer jetzt nicht aufpasste und mit dem Schlauchboot zu unvorsichtig war, lief Gefahr, durch den Priel zwischen Amrum und Sylt aufs offene Meer hinaus gezogen zu werden.
Sie suchten sich eine freie Stelle in der Nähe der Brücke, die einige Meter weit ins Meer hinausragte, und setzten sich in den warmen, weichen Sand. Die Luft war angefüllt mit dem Geschrei der Kinder und der Möwen, die über ihren Köpfen ihre Runden drehten und auf Futterreste spekulierten. Kleine Motorboote schaukelten auf den leichten Wellen und zerrten an ihren Ankern. Es war heiß in der Sonne, aber da Lena und Dieter Bennings bisher kaum Zeit gehabt hatten, die Urlaubsatmosphäre der Insel zu atmen, genossen sie dies in schweigendem Einvernehmen jetzt umso mehr.
»Merkwürdiger Typ«, brach Bennings schließlich unter dem Eindruck ihres Besuches bei Melf Albertsen das Schweigen. »Glaubst du ihm die Sache mit den Drohbriefen?«
»Ich werde aus ihm nicht ganz schlau«, gestand Lena. »Ich weiß auch nicht, ob ich ihn für sein Engagement bewundern oder für verrückt halten soll. Immerhin setzt er dafür sogar seine Existenz aufs Spiel. Außerdem scheint er tatsächlich unter der Situation hier zu leiden. Jedenfalls war er verdammt nervös und wirkte, finde ich, geradezu ausgebrannt. Hältst du ihn für tatverdächtig?«
»Eher nicht. Dafür
Weitere Kostenlose Bücher