Leandra - Die Amazonenprinzessin (German Edition)
waren, und sicher würde er auch einer werden.
„Deine Gefühle sind dir an deiner Nasenspitze anzusehen, mein Sohn.“ Der Tonfall war tadelnd. „Machst du dir keine Gedanken über die Amazonen?“
„Nein, Vater, du kennst die Berge besser als sie.“
Jetzt lächelte Adain und strich sich über seinen dunklen Vollbart.
„Dein Vertrauen ehrt mich, trotzdem werden wir vorsichtig sein müssen.“
Sie füllten ihre Wasserschläuche auf und wanderten nach Westen. Obwohl Timor in Gefahr schwebte, war er froh – ja fast beschwingt. Ihm fiel schwer, seine Freude zu bändigen. Er merkte nicht einmal, dass sich der Himmel veränderte, und war verdutzt, als ihm die ersten Regentropfen auf die Nase fielen.
„Wir sollten uns einen Unterschlupf suchen“, sagte sein Vater.
„So ein bisschen Regen schadet nicht.“
„Hast du dir mal den Himmel angesehen?“
Timor sah auf und erkannte, dass dieser Regen zu einem heftigen Gewitter werden würde. Kleinlaut antwortete er: „Du hast recht.“
Rasch schlug er die Kapuze über, und sie gingen weiter, während der Regen stärker wurde.
„Da ist eine Höhle!“, sagte sein Vater plötzlich und deutete. Timor wandte den Kopf und entdeckte unter einem Felsvorsprung eine dunkle Öffnung. Als sie den Eingang fast erreicht hatten, blieb Adain stehen und flüsterte: „Warte hinter diesem Busch, ich werde nachsehen, ob sie schon bewohnt ist.“
Timor gehorchte, nahm seinen Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf die Sehne. Angespannt beobachtete er, wie sein Vater sich der Höhle näherte und hineinging. Bären hatten zurzeit Junge und waren unberechenbar. Bislang hatte er zum Glück noch nie eine wütende Bärin erlebt, und Timor hoffte, dass es auch so blieb. Sein Vater kam wieder heraus.
„Wir haben Glück.“
Timor folgte Adain in die Höhle und stellte fest, dass sie nicht sehr groß war. Sie setzten sich an eine Wand und Timor spähte nach draußen. Weil der Regen so dicht geworden war, konnte er nichts mehr erkennen. Wenn die Amazonen schlau waren, hatten sie sich ebenfalls einen Unterschlupf gesucht, doch er wünschte sich, dass sie im kalten Regen herumirrten.
„Ich hatte geglaubt, ich würde nie nach Mendarn zurückkehren“, murmelte sein Vater.
„Warum?“
Adain antwortete nicht, und Timor wurde klar, dass sein Vater nur laut gedacht hatte. Was auch immer in ihm vorging, er war nicht bereit, es zu verraten.
In den letzten Tagen hatte es erbarmungslos geregnet, und jetzt, wo die Sonne wieder schien, war der Boden glitschig. Wenn sie einen Wunsch freigehabt hätte, hätte Leandra sich ein weiches Bett gewünscht, aber von diesem Luxus war sie noch viele Tage lang entfernt. Momentan wanderte die Prinzessin durch ein bewaldetes Tal, als sie plötzlich einen Schrei hörte. Es hatte wie Vater geklungen, und Leandra lief los. Wenn jemand in Not war, musste sie ihm zu Hilfe kommen. Sie streifte die Zweige zur Seite und achtete nicht darauf, dass sie das Laub aufwühlte. Nachdem die Amazonenprinzessin sich durch ein dichtes Gestrüpp gekämpft hatte, erblickte sie an einem Baum gedrängt einen Jungen in ihrem Alter. Ihm gegenüber stand ein Bär, der gleich angreifen würde! Leandra zerrte den Bogen von der Schulter, während der Bär brüllte und sich auf die Hinterbeine stellte. Der Pfeil flog von ihrer Sehne und traf in die Kehle des Tieres. Noch einmal bäumte sich der Bär auf, dann stürzte er zu Boden. Der Junge wandte sich um und sah sie überrascht an. In diesem Moment begann sich der Wald um sie zu drehen, und Leandra verlor das Bewusstsein.
Als sie erwachte, befand Leandra sich in einer Höhle und der Junge, dem sie das Leben gerettet hatte, zielte mit einem Bogen auf sie.
„Ist das deine Art, dich zu bedanken?“, fragte Leandra.
Er starrte sie nur an, und in seinen hellgrünen Augen lag Misstrauen.
Schließlich sagte er: „Der Verband um deine Hand war schmutzig, und mein Vater wollte nach der Wunde sehen …“
Leandra schloss die Augen. Sie hatten ihr Amazonenzeichen gesehen, aber warum beunruhigte es sie? Wieso waren die beiden so hoch im Asol-Gebirge, wo es am Fuße des Berges von Beutetieren nur so wimmelte? Da wurde es ihr klar: Die beiden wollten wie sie nach Mendarn fliehen.
„Was immer ihr getan habt, ich wurde nicht geschickt, um euch zu suchen.“
„Wir haben gar nichts getan!“, rief der Junge.
„Timor, lass sie und leg den Bogen weg“, ertönte eine tiefe Stimme, und Leandra drehte den Kopf.
Im Höhleneingang stand ein Mann, der
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