Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
öffentlichen Verkehrsmitteln.
Jetzt bin ich wieder mit der Bahn oder mit dem Bus unterwegs, auch auf Tournee – und das sind doch viele Auftritte und damit Reisen im Jahr. Mein Tourbetreuer und Techniker Christian Clementa begleitet mich dabei. Früher hatten wir immer ein großes Rednerpult für die Bühne dabei, das wir jetzt nicht mehr mitnehmen können. Ich musste mich also anpassen und seither gänzlich ohne Rednerpult auskommen. Das Weglassen des Autos hat somit die Inszenierung meines Programms verändert.
In Wien nutze ich das Fahrrad überraschenderweise fast nicht. Das öffentliche Verkehrsnetz ist dort so gut ausgebaut, dass du superschnell auch ans andere Ende der Stadt gelangst. Vom öffentlichen Verkehrsmittel ans Ziel tragen mich dann meine Füße. Zu Fuß zu gehen ist für mich das Beste überhaupt, das ist nahezu uneingeschränkte Mobilität und damit Freiheit.
Als Kind hasste ich das Gehen. Wandern mit meinen Eltern war für mich das Schrecklichste, das man nur tun konnte. Mobilität war für mich lange Zeit etwas, das Räder hat – zumindest in Form eines Fahrrades. Diese Denkweise hat aber einen grundlegenden Fehler: Räder brauchen immer eineFahrbahn. Ohne Fahrbahn ist ein Rad sinnlos. Deswegen gibt es in der Natur auch kein einziges Tier, das Räder hat.
Ohne Fahrbahn funktioniert selbst ein Fahrrad nicht mehr – das lernt man zum Beispiel als Mountainbiker sehr rasch, wenn man den Berg über einen Wanderweg bezwingen möchte. Zuerst radelt man eine Schotterstraße entlang, dann wird daraus ein Fußweg und irgendwann kommt man sogar mit dem Mountainbike vor lauter Steinen und Wurzeln nicht mehr weiter. Dann nimmt man das Fahrrad und trägt es hinauf. Das bedeutet: Sobald es keine Fahrbahn mehr gibt, wird das Fahrrad buchstäblich zur Last. Daher gehe ich gerne zu Fuß – „back to the roots“. Wenn ich mich gehend durch den Wald bewege – gehend wohlgemerkt, nicht laufend –, dann bekomme ich auch von der Landschaft und der Umwelt am allermeisten mit.
Meine Geschwindigkeit im Wald hat sich mit den Jahren stark reduziert. Zuerst fuhr ich mit dem Motorrad durch die Wälder, fuhr auch bei Endurorennen mit, bei denen man vom Wald nichts mehr wahrnimmt. Dann fing ich mit Mountainbiking an, bei dem man vielleicht ein bisschen mehr von der Landschaft mitbekommt, aber auch nicht sonderlich viel, vor allem dann nicht, wenn man dabei Rennen fährt, sei es gegen andere Biker oder auch nur gegen sich selbst und die Zeit.
Ich stieg aufs Laufen um und dabei nim mt man die Natur schon etwas stärker wahr, ist aber noch immer auf den Sport konzentriert. Erst, wenn man zu gehen beginnt, kann man zwischendurch auch stehenbleibe, innehalten, sich einen Baum ansehen, genießen. Man kann Beobachtungen machen und dann weitergehen. Das Gehen nimmt extrem viel Druck aus meinem Leben und ich entdecke dabei ständig etwas Neues, auch in der Stadt. Was ich alleine in Wien zu Fuß entdeckt habe, hätte ich von einem Fahrzeug ausnie wahrgenommen. Dabei ist es egal, ob es sich um nette Läden handelt, schöne Häuser, gemütliche Plätze. Gehen ist großartig und hat etwas Heilendes. Es entspricht genau der Geschwindigkeit, mit der das menschliche Gehirn gut zurechtkommt. Das sind etwa vier Stundenkilometer. Nicht umsonst zieht es so viele Menschen an den Jakobsweg, was hingegen auch etwas seltsam ist. Warum sollte ich einen Weg entlanggehen, auf dem auch alle anderen marschieren? Gehen kann ich überall. Aber es erzählt sich eben gut, wenn man vom Jakobsweg zu berichten hat. Das ist dem Ego sicherlich zuträglich.
Vor dem öffentlichen Verkehr hatte ich zuerst etwas Angst. Ich dachte mir: „Öffentlich fahren? Was bedeutet das in meiner Situation als öffentlich bekannte Person? Beobachten mich die Leute dann in der U-Bahn?“ Eine schreckliche Vorstellung. Aber es kam ganz anders. Gelegentlich fragt mich jemand, ob ich der Düringer sei, dann antworte ich zumeist wahrheitsgemäß mit „Ja“. Manchchmal behaupte ich auch einfach: „Nein, dem schau ich vielleicht ein wenig ähnlich. Das hat mich heute schon einmal jemand gefragt.“
Ansonsten passiert nicht viel. Im Großen und Ganzen genieße ich es sehr, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Ich konnte wirklich die Welt neu entdecken, nachdem ich das Auto stehengelassen hatte. Ich kenne jetzt andere Wege, habe neue Möglichkeiten und gewinne enorm viel Zeit. Man glaubt, dass das Auto am zeitsparendsten fährt, aber das stimmt nicht. Mit
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