Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
meiner Lebensgeschichte ist, gilt das für das Telefon nicht. Telefone, vor allem Mobiltelefone, tauchten in meiner Entwicklung erst relativ spät auf. Sie waren etwas Fremdartiges für mich, etwas Neues, das ich erst unter die Lupe nehmen musste.
Der Verzicht auf das Mobiltelefon war daher für mich weniger einschneidend als der Verzicht auf das Auto, mit dem ich einen Teil meiner persönlichen Geschichte loslassen musste. Ich habe grundsätzlich nichts gegen Autos, überhaupt nichts. Noch immer stehen einige alte Autos in meiner Garage, weil mir diese als Objekte gefallen. Ich zweifle lediglich sehr an der Art und Weise, wie wir das Automobil benutzen. Dasselbe gilt für Mobiltelefone: Ich habe nichts Grundsätzliches gegen sie, es handelt sich um eine hilfreiche Erfindung.
Dazu möchte ich über ein Erlebnis berichten: Neulich war ich gemeinsam mit Freunden mit dem Motorrad unterwegs und auch meine Frau, Regine, war mit von der Partie. Unterwegs ging bei ihrem Motorrad ein Radlager kaputt, während wir irgendwo tief im Grenzland zwischen Waldviertel und Mühlviertel umherstreiften, in einer abgelegenen Region in Niederösterreich. Wir standen um halb fünf am späten Nachmittag in einer kleinen, abgeschiedenen Ortschaft namens Liebenau und konnten nicht weiterfahren. Die Radlager waren zerrieben. Nachdem wir eine KFZ -Werkstatt gefunden hatten, fragten wir dort nach einem Radlager. Natürlich gab es kein passendes, da wir es mit einer Autowerkstatt zu tun hatten. Zufälligerweise war aber in der Ortschaft tatsächlich ein Motorradhändler ansässig, zu dem wir sofort fuhren. Der Chef war nicht da und eine Vertretung stand im Laden, die nur bedingt über das Ersatzteillager und den Lagerstand Bescheid wusste. Er konnte nicht sagen, ob das passende Radlager verfügbar war, zumal der Händler völlig andere Motorradtypen vertrieb. Was er uns geben konnte, war ein Rat: „Es gibt in unserer Ortschaft einen Reifenhändler mit Werkstatt, in der Reifen und Bremsen repariert werden. Vielleicht kann euch dort jemand weiterhelfen“. Wir fuhren hin, waren aber wieder erfolglos. Vor allem hätten wir wissen müssen, welcher Typ von Radlager in Regines Motorrad eingebaut war.Dazu gibt es eine Seriennummer und wenn man diese kennt, ist die Suche einfacher.
Schließlich packte einer unserer Freunde still und heimlich sein iPhone aus und gab, ohne dass wir es bemerkten, „Yamaha XJR 1300 Ersatzteilnummer Radlager hinten“ im Internet in die Suchmaschine ein. Innerhalb von drei Minuten kannte er die Seriennummer des Radlagers, mit der wir dann zu dem Motorradgeschäft zurückfuhren, in dem wir schon gewesen waren, und wo der Verkäufer uns zuvor nicht hatte helfen können. Mit der richtigen Ersatzteilnummer konnte er nun agieren. Er rief seinen zu dieser Zeit in Frankreich bei einem Motorrad-Bergrennen weilenden Chef am Handy an, um uns danach die frohe Botschaft zu übermitteln, dass in einem der Regale die Radlager zu finden waren. Eine Stunde später waren wir wieder unterwegs.
Ohne Mobiltelefon wäre uns dies nicht gelungen. In gewissen Lebenslagen ist diese Erfindung sehr sinnvoll, wir müssen uns aber die Möglichkeit vorbehalten, eigene klare Regeln für ihre Benutzung aufzustellen – aber eben eigene Regeln! Es geht nicht darum, dass uns jemand anderes diese Regeln aufbrummt, sondern dass wir selbst gründlich entscheiden, wie wir gewisse Dinge benutzen und wie nicht. Dabei geht es nicht nur um technische Geräte. „Die Dosis macht das Gift“, so sagt man. Und zum Glück habe ich die Kraft, die Energie und den Willen, mir meine eigenen Regeln zu basteln und nach meinem persönlichen Kodex zu leben – immer vorausgesetzt, dass ich damit niemandem schade und dem Leben diene. Für mich bedeutet Freiheit, Verantwortung zu übernehmen.
Das Allerwichtigste, das man über die Freiheit wissen sollte, ist, dass Freiheit nicht bedeutet, zu tun und zu lassen, was man gerade will. Freiheit bedeutet: „Ich trage große Verantwortung,weil ich ein freier Mensch bin.“ Es geht um Verantwortung für andere Menschen, für uns selbst und für Dinge, die uns anvertraut wurden. Ein freies Leben ist oft ein unbequemes Leben.
Ein wirklich freies Leben zu führen bedeutet, Mut zur Verantwortung zu haben. Ein sicheres Leben ist wiederum etwas anders. Dazu muss man nicht unbedingt Verantwortung übernehmen. Gibt man die Verantwortung ab, so kann man noch immer ein Leben in vermeintlicher Sicherheit führen. Ein freies Leben kann
Weitere Kostenlose Bücher