Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebe wohl, Erde!

Lebe wohl, Erde!

Titel: Lebe wohl, Erde! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl
Vom Netzwerk:
besser, du kommst ihnen nicht in die Quere.«
    Ich hob sie auf und setzte sie auf meine Schulter. Sie war klein, selbst für ihre sieben Jahre, aber ihr langes blondes Haar hüllte mein ganzes Gesicht ein. Ich blies es zur Seite. »Wann beginnen die Riten, Clory?«
    »Jetzt gleich. Schau – sie zünden schon die Feuer an.«
    Die Krieger saßen auf der dreireihigen Tribüne der Männer, währen die Jugendlichen und Frauen eine etwas wacklige kleine Hütte aus dürrem Holz errichteten. Ich hätte ihnen dabei helfen müssen, aber da ich kein Krieger war, wurde ich nicht wirklich gebraucht, sie schafften es leicht auch ohne mich, so zog ich es vor, mich soweit wie möglich aus allem herauszuhalten, was mit Überfällen zu tun hatte.
    Der gesamte Stamm hatte sich jetzt auf der Lichtung am Rand des Dorfes versammelt. Das Haus der Feinde – das war die wacklige Hütte, die verbrannt werden würde – war fast fertiggestellt. Die vier geflochtenen Stricke, die als Zündschnüre dienen würden, waren bereits ausgelegt, und die Musiker probierten mit einem unheiligen Krach ihre Instrumente aus.
    Corlos, Führer und Krieger und Häuptling des Stammes der Blauen, trat in die Mitte des freien Kreises. Er hob seinen Bogen und legte einen zehn Fuß langen Pfeil mit ausgehöhlter Spitze an die Sehne. Er zielte auf die winzige rote Sonnenscheibe, die am Horizont unterging. Der Pfeil schoß in einem flachen Bogen durch die Luft – aufgrund der ausgehöhlten Spitze schrie er regelrecht.
    Das war das Signal. Die Musiker strengten sich an. Es war ein schrecklicher Lärm, aber doch fast schön, wie ich zugeben mußte. Dieser Eindruck entstand vielleicht deshalb, weil wir diese zeremonielle Musik nur kurz vor einem Überfall, nicht öfter als einmal im Jahr, hörten.
    Im Rhythmus der heftigen Musik trug eine Gruppe junger Mädchen eine Sänfte in den Kreis. Darin befand sich ein Tier – manchmal auch ein Mensch –, das lebenden Leibes verbrannt werden würde und den Feind, gegen den unsere Krieger bald marschieren würden, darstellen sollte.
    Corlos schritt zur Sänfte und hob befehlend die Arme. Die Musik verstummte. Mit tiefer, klangvoller Stimme deklamierte er: »Wer ist unser Feind?«
    Einstimmig antworteten die Krieger von den Bankreihen: »Er, der nicht dem Stamm dient, ist unser Feind – er muß sterben! Das, was einen unseres Stammes tötet, ist unser Feind – es muß sterben! Er, der den Namen unseres Stammes in den Schmutz zieht, ist unser Feind – er muß sterben!« Ich murmelte die vertrauten Worte der Drei Bösen Taten mit den Kriegern. Ich kannte sie auswendig. Corlos fuhr mit dem Ritual fort.
    »Wie stirbt unser Feind?« rief er.
    »Durch die Flammen unseres Feuers!« donnerte die vielstimmige Antwort.
    »Wo suchen wir unseren Feind?«
    »In den Wäldern; in unserem Stamm; auf den Bergen und Ebenen; wohin immer er auch fliehen mag, werden wir ihn finden.«
    Corlos wurde von Augenblick zu Augenblick fanatischer. Er winkte den Musikern zu. Während eine Trommel jede Silbe betonte, schrie er: »Seht unseren Feind!« Er riß die Tür der Sänfte auf. Vier Krieger rannten herbei und zerrten den Feind heraus.
    Ich riß die Augen auf, dann taumelte ich zurück und klammerte mich haltsuchend an eine Ranke. Der Feind war diesmal ein Mensch! Es war ein junger Bursche, der vor Angst leicht zitterte. Es war Lurlan, mein Blutsbruder!
    Lurlan! Von Clory abgesehen, würde ich lieber jeden anderen des Stammes, einschließlich meiner, in den Flammen sehen. Clory krallte sich in meinen Arm, und ein leises Wimmern entfloh ihren Lippen. Offenbar kam es auch für sie unerwartet.
    Ich unterdrückte den Gedanken, daß mein Stand selbst nicht allzu sicher war, während ich verzweifelt überlegte, wie ich Lurlan vor den Flammen retten konnte. Aber zum Nachdenken reichte die Zeit nicht. Gleich würde das Feuer entzündet werden und Lurlans Körper schon bald in seiner Glut rösten.
    Wenn er sterben mußte, würde er sterben. Unmöglich konnte ich hoffen, sein Leben zu retten. Aber war es notwendig, daß er die grauenvollen Qualen des Flammentods erlitt?
    Nein, entschied ich mich aufgewühlt – und stellte fest, daß meine Körperreflexe zum selben Entschluß gekommen waren, denn ich hielt bereits den Bogen in der Hand, und ein Pfeil lag an der Sehne. Hastig zielte ich und schoß. Der Pfeil traf meinen Blutsbruder genau in die Kehle.
    Allgemeine Bestürzung! Der ganze Stamm war in Aufruhr. Corlos wirbelte herum und spähte direkt auf mich.

Weitere Kostenlose Bücher