Leben Ist Jetzt
damit keineswegs sein Alter. Das tut nur, wer die Warnsignale des Körpers
nicht wahrnehmen will. Die Dankbarkeit für die eigene Gesundheit weiß auch darum, dass sie Geschenk ist, das wir nicht festhalten können, das uns vielmehr
irgendwann auch aus der Hand genommen werden kann. Darauf sollen wir nicht ängstlich starren, aber nüchtern damit rechnen.
Eine achtzigjährige Frau erzählte mir, dass sie noch nie so im Einklang mit sich war wie jetzt mit 80 Jahren. Doch
mit 82 Jahren kamen dann körperliche Beschwerden hinzu. Da war es dann nicht mehr so einfach, das anzunehmen. Wir können uns nicht aussuchen, wann die
körperlichen Beschwerden sich melden. Wir sollen dankbar sein, solange wir gesund sind. Aber wir sollen es als Geschenk annehmen und nicht als etwas, was
wir festhalten könnten. Irgendwann wird es auch anders werden. Wie die Schwäche kommt, plötzlich oder allmählich, ob sie zu einem langen Siechtum oder zum
plötzlichen Tod führt, das können wir uns nicht aussuchen. Es geht nur darum, bereit zu sein für das, was das Leben mit sich bringt, was Gott uns
zumutet.
Es ist eine wichtige Aufgabe des alten Menschen, sich mit seinen Krankheiten auszusöhnen. Irgendwann wird die Krankheit nicht mehr
geheilt werden. Man muss damit leben. Die einen leben resigniert mit der Krankheit. Die anderen versuchen sie zu verdrängen und nach außen trotzdem stark
und gesund zu erscheinen. Die Krankheit zerbricht mein Selbstbild. Aber ich bin nicht nur der Starke und Gesunde. Mein wahres Selbst ist jenseits von
Gesundheit und Krankheit. So lädt mich die Krankheit ein, meine bisherigen Selbstbilder zerbrechen zu lassen, um aufgebrochen zu werden für mein wahres
Selbst, für den inneren Kern, der nicht von der Krankheitinfiziert ist. Und die Krankheit ist eine Herausforderung, durchlässig zu
werden für Gott. Nicht mehr meine Kraft strahlt aus meinem Gesicht, sondern die Milde und Barmherzigkeit Gottes.
Das ist das Ziel. Doch der Weg dorthin ist nicht einfach. Wenn die Schmerzen nicht weggehen, fällt es nicht leicht, sich mit ihnen
auszusöhnen. Und doch führt kein Weg daran vorbei. Wenn ich mich mit meinen Schmerzen nicht aussöhne, werde ich mich als Verlierer fühlen, weil alle
Medizin und alle therapeutischen Maßnahmen nicht helfen, die Schmerzen zu beseitigen. Die Schmerzen nicht zu beachten gelingt auch nicht. Freundlich mit
den Schmerzen umzugehen bedeutet für mich: ich fühle mich in den Schmerz hinein. Es tut weh. Aber ich versuche, durch den Schmerz hindurchzugehen. Dann
ahne ich, dass auf dem Grund des Schmerzes Frieden ist. Der Schmerz führt mich dann in mein Inneres, in den Raum, in dem Gott in mir wohnt, in dem ich
heil bin und ganz, schmerzfrei, erfüllt von Gottes Liebe und Milde. Der Schmerz zwingt mich, bei mir zu bleiben und in mir in den Bereich jenseits des
Schmerzes einzutreten. Der Schmerz ist die beständige Erinnerung, ihn zu überschreiten in den schmerzfreien Raum auf dem Grund meiner Seele. Das ist nicht
leicht. Wir sollen uns mit den Schmerzen auch nicht überfordern, sondern die Hilfen in Anspruch nehmen, die uns die heutige Schmerztherapie bietet.
Ältere Menschen haben besondere Fähigkeiten
Altern ist keineswegs nur körperlicher Verfall oder Nachlassen geistiger Fähigkeiten. Alte Menschen haben im Gegenteil sogar
Fähigkeiten, die jungen abgehen. Die Hirnforschung zeigt: Das menschliche Gehirn entwickelt sich weiter, produziert neue Zellen, entwickelt neue Wege, zu
denken. Alte Menschen denken anders. Sie denken nicht schneller, aber konzeptueller. Daraus kann eine neue Art der Verantwortung erwachsen sowie eine neue
Art, über das „Wie“ und „Warum“ des Lebens nachzudenken.
Nicht umsonst haben die Völker den alten Menschen besondere Weisheit zugesprochen. Weisheit hat nicht nur mit der Lebenserfahrung zu
tun, sondern auch mit einer neuen Weise zu denken. Das griechische Wort für Weisheit „sophia“ meint einen Menschen, der eine besondere Geschicklichkeit
hat, der die Kunst des Lebens versteht und der eine kluge Einstellung zum Leben hat. Das lateinische Wort „sapientia“ kommt von „sapere“ (=
schmecken). Für die Römer ist der Mensch weise, der sich selber schmecken kann, der ausgesöhnt ist mit sich selbst und daher einen guten Geschmack
verbreitet, der im Einklang ist mit sich selbst. Das deutsche Wort „Weisheit“ kommt von „wissen“, das wiederum von einer Wurzel stammt, die
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