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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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existenzielle Krise
    Lizzy zerrt das Fensterrollo nach oben und Licht flutet in mein Zimmer. Ich stöhne. Es fühlt sich an, als säße ein Elefant auf meiner Brust. Ich möchte einfach nur unsichtbar sein. Wenn ich nicht herausfinden kann, warum ich hier bin, dann nehme ich doch lediglich Platz weg.
    »Na los,«, sagt sie und zieht an meiner Bettdecke. »Es ist schon elf Uhr.«
    Ich schüttle den Kopf und umklammere den Rand meiner Decke noch fester. »Ich stehe nicht auf.« Wäre ich unsichtbar, könnte ich vielleicht sehen, wozu andere Leute hier sind, und das würde mir weiterhelfen. Da aber die einzigen unsichtbaren Personen, die ich kenne, Figuren aus Comics sind oder wie Harry Potter einen Tarnumhang besitzen, habe ich wahrscheinlich keine allzu großen Aussichten auf diesem Gebiet.
    »Ich hab einen Schoko-Vitamuffin für dich«, singt Lizzy und schwenkt den Muffin vor meiner Nase hin und her.
    »Will ich nicht.«
    Lizzy schaut zu meinem Tisch hinüber, dann wieder auf mein Bett. »Ist der Höcker da neben dir die Kassette von deinem Dad?«
    Ich gebe keine Antwort.

    Sie streckt tastend die Hand aus. »Das IST die Kassette! Dann schläfst du also neuerdings mit ihr?«
    Wie soll ich ihr erklären, dass ich die Worte auf der Oberseite mit den Fingern nachgemalt habe und darüber eingeschlafen bin? Ich kenne die geschwungenen Linien dieser Buchstaben inzwischen so gut, dass ich sie perfekt nachahmen könnte.
    »Ich ruf deine Mutter auf der Arbeit an«, droht mir Lizzy. »Du benimmst dich nicht normal.«
    »Von mir aus.«
    »Schön, dann tu ich’s.« Sie stürmt aus dem Zimmer und kehrt eine Minute später mit dem schnurlosen Telefon am Ohr zurück.
    »Er will einfach nicht aufstehen, Mrs Fink«, sagt sie. »Nein, ich weiß nicht, warum. Er sagt es mir nicht.« Sie hält mir das Telefon hin. »Sie will mit dir reden.«
    Ich schüttle den Kopf und werfe mir das Plüschkrokodil übers Gesicht.
    »Er will nicht ans Telefon. Okay, ich frag ihn. Jeremy, deine Mom will wissen, ob du krank bist.«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Nein, er ist nicht krank«, sagt sie. Dann hebt sie das Krokodil hoch und brüllt mir ins Ohr: »Deine Mom besteht darauf, dass du uns sagst, warum du nicht aufstehen willst, sonst kommt sie nach Hause und schleift dich höchstpersönlich raus!«
    Ich schaue sie skeptisch an.
    »Okay, vielleicht war der letzte Satz nicht von ihr, aber es ist eindeutig besser für dich, wenn du’s mir sagst!«
    So leise, dass Lizzy sich vorbeugen muss, um mich zu verstehen,
sage ich: »Ich kann der Welt nicht ins Auge sehen, solange ich nicht weiß, warum ich hier bin.«
    »Du willst mich wohl verarschen.«
    Ich schüttle heftig den Kopf. »Nein! Ich muss herausfinden, was mein Ziel ist. Welchen Sinn hat es für mich, aufzustehen, solange ich das nicht geschafft habe?«
    Lizzy wiederholt meine Worte ins Telefon und sagt nach einer langen Pause: »Okay, ich sag’s ihm. Tschüss.« Sie legt das Telefon auf meinen Tisch und sagt: »Deine Mutter hat gesagt, ich soll dir sagen, du kannst gern deine existenzielle Krise haben – was immer das heißt -, sobald du aus dem Bett raus bist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du dein Ziel nicht findest, wenn du mit einem Krokodil über dem Gesicht daliegst. Steh auf!«
    »Na schön«, sage ich zu ihr, werfe die Bettdecke von mir und setze mich auf. Ich trage noch die Klamotten von gestern. Wenn ich deprimiert bin, entgehen mir anscheinend Nebensächlichkeiten wie das Anziehen des Schlafanzugs. »Aber du versprichst mir, dass du mich heute in Ruhe lässt? Ich will alleine sein.«
    »Tut mir leid«, sagt Lizzy und legt mir den Muffin in den Schoß, »in zehn Minuten müssen wir am Ende des Flurs sein.«
    »Hä? Wo sollen wir denn hin?«
    »Zu Samantha in die Wohnung. Jetzt steh endlich auf!« Sie zerrt mich vom Bett herunter und lässt mir kaum Zeit, meinen Muffin aufzufangen, bevor er auf den Boden fällt.
    »Ich gehe nicht in Samanthas Wohnung!«, informiere ich sie. »Ich verbringe meinen Tag, indem ich herauszufinden versuche, warum ich hier auf diesem Planeten bin. Möglicherweise möchtest du das ja auch.«

    »Ich weiß schon, warum ich hier bin«, sagt Lizzy. Sie steht in der Türöffnung.
    »Ehrlich wahr?« Das finde ich wirklich nicht gerecht. Alles fällt Lizzy leichter als mir.
    »Ich bin hier, um dich abzuholen, weil Samantha und Rick auf uns warten.«
    Ich schubse sie raus in den Flur und schließe die Tür ab. Sie hämmert dagegen. »Manno, Jeremy, lass mich

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