Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
des Nachthimmels, und ich erkenne ein paar Sternbilder, über die wir in der Schule etwas gelernt haben. Dann ertappt er Lizzy dabei, wie sie ihre Zähne in einer der spiegelnden Vitrinen überprüft. »Ich langweile euch doch nicht, oder? Wir können uns ohne Weiteres den Museumsladen anschauen, wenn euch das lieber ist.«
Ich versuche, Lizzy einen Tritt zu verpassen, aber sie weicht zu schnell aus. Dabei stolpert sie um ein Haar direkt in ein Modell des Sonnensystems. »Bitte, reden Sie weiter, Dr. Grady«, dränge ich.
»Also gut. Ärmel hochgekrempelt, ich gebe euch eine kurze Einführung in die Geschichte des Universums. Bereit?«
»Äh, wir haben aber kurze Ärmel«, wendet Lizzy ein.
»Das ist eine Redewendung, meine Liebe. Ähnlich wie ›Der Weg ist das Ziel‹. Soll ich weitermachen?«
»Was für einen Weg meinen Sie?«, will Lizzy wissen.
»Den des Lebens natürlich.«
»Ach so«, sagt Lizzy. »In Ordnung.«
Dr. Grady geht ein paar Stufen nach unten und zeigt auf ein Zitat, das an der Wand angebracht ist. Er liest es laut vor. »›Das Universum ist nicht nur sonderbarer, als wir vermuten, es ist sonderbarer, als wir überhaupt vermuten können .‹ Das führt uns zu der ursprünglichen Frage zurück – wie sind wir hierhergekommen, an diesen seltsamen, weitgehend unbegreiflichen Ort? Um das zu beantworten, müssen wir mit dem Anfang beginnen. Vor ungefähr 13,7 Milliarden Jahren gab es nichts Messbares. Keinen Raum. Keine Zeit. Dann war da plötzlich etwas. Dieses Etwas nennen wir kosmologische Singularität, es war unendlich heiß und dicht und unendlich klein und umfasste trotzdem alle Materie, die das Universum je erfüllen wird. Niemand weiß, woher es kam. Vielleicht hat ein höheres Wesen es hinterlassen, das wäre möglich, oder es kam aus einem vollständig anderen Universum, von dem wir nichts wissen. Sehr wohl wissen wir hingegen, was als Nächstes passierte.«
Bevor ich mich bremsen kann, reckt sich meine Hand in die Luft. Lizzy lacht und ich ziehe sie schnell zurück. »Der Urknall?«
»Genau!«, sagt Dr. Grady und reibt sich begeistert die Hände. »Aber stellt ihn euch nicht als Knall oder als Explosion vor, in Wirklichkeit war das eine gigantische Expansion, so als würde man einen unvorstellbar winzigen Ballon zu einem unvorstellbar riesigen Ballon aufblasen, der sich immer noch weiter ausdehnt.«
Dr. Grady macht eine Pause und fährt sich mit den Händen
durch die Haare. Es hilft allerdings nicht viel, denn die Haare stehen gleich wieder vom Kopf ab. Lizzy beginnt, leise vor sich hin zu summen. Ich stoße ihr meinen Ellbogen in die Rippen. Sie wirft mir einen vernichtenden Blick zu, hört aber auf zu summen. Dr. Grady scheint es nicht zu bemerken.
»Alle Materie und Energie im Universum«, erklärt er voller Enthusiasmus, »wir eingeschlossen, sind in diesem Ballon. Die Planeten, die Sterne, ihr und ich, wir alle entstammen exakt demselben Grundmaterial von exakt demselben Zeitpunkt vor 13,7 Milliarden Jahren. Das Universum hat sich mit einem Vielfachen der Lichtgeschwindigkeit ausgebreitet, subatomare Teilchen ausgespuckt und Dinge wie Schwerkraft und Elektromagnetismus erzeugt. Sterne haben sich aus Gasen und Staubwolken gebildet, Trümmer und Eis haben sich abgelöst und zu Planeten geformt. Könnt ihr mir bis hierher folgen?«
Ich bejahe, aber mir schwirrt der Kopf. Dann bin ich also in Wirklichkeit gar nicht vor zwölf (fast dreizehn) Jahren geboren worden – tatsächlich wurde ich vor 13,7 Milliarden Jahren geboren? Mom ist mir eine Menge Geburtstagsgeschenke schuldig!
»Kommen wir jetzt langsam auf den Punkt«, sagt Dr. Grady vergnügt. Es ist großartig, jemandem zuzuschauen, dem seine Arbeit Spaß macht. Bei Dad in seinem Comicladen war es genau so. Mom macht die Arbeit in der Bibliothek Spaß und Lizzys Dad die in der Post. Ob ich jemals etwas finden werde, das mir auch so viel Spaß macht? Ich höre wieder zu, was Dr. Grady sagt: »Unser eigenes Sonnensystem entstand vor viereinhalb Milliarden Jahren. Eine weitere Milliarde Jahre dauerte es, bis sich die Erdoberfläche abkühlte. Ziemlich genau ab dem Zeitpunkt, zu dem Leben entstehen konnte, tat
es das auch. Aus der Ursuppe – ein paar grundlegenden chemischen Substanzen und Gasen, kombiniert mit UV-Strahlung und Blitzeinschlägen – entstanden die Bausteine des Lebens: Aminosäuren. Ihnen folgten Bakterien, dann einzellige Organismen, vielzellige Organismen, Pflanzen, wirbellose Tiere, Wirbeltiere,
Weitere Kostenlose Bücher