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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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herausragen, und schüttle sie, als könnte das irgendwie weiterhelfen. Ich versuche, am Deckel zu ziehen. Ich zerre und reiße daran, aber nichts bewegt sich.
    »Was machen wir jetzt?«, fragt Lizzy.
    Ich mustere den Müllberg und knirsche mit den Zähnen, bis sie schmerzen. »Wir könnten sie alle noch mal durchprobieren. Diesmal würde es schneller gehen, weil wir sie nur in einem Schlüsselloch testen müssen.«

    »Ich schaffe es nicht, heute Abend noch einen einzigen Schlüssel anzuschauen«, sagt Lizzy. »Aber vielleicht kannst du’s ja in deiner S.v.J. machen?«
    Ich bin so müde, dass ich in der S.v.J. nichts als schlafen möchte. Aber ich nicke. »Okay, gern.«
    »Ich muss noch packen«, sagt Lizzy und steht langsam auf. »Wir sehen uns in aller Frühe.« Ich gebe einen Grunzlaut von mir und zwinge mich, alle Schlüssel noch einmal in dem einen verbleibenden Schlüsselloch auszuprobieren. Keiner von ihnen funktioniert. Zu diesem Zeitpunkt bin ich fast wahnsinnig vor Erschöpfung.
    Als letzte Rettung versuche ich die drei Schlüssel, die gepasst haben, in dem einen leeren Schlüsselloch. Nichts.
    Vor lauter Enttäuschung fühle ich mich ganz hohl. Ich schreibe einen Zettel und stecke ihn ins Loch. Die Alufolie ist weg. Dass ein Schlüssel fehlt, einen Tag vor unserer Abreise, ist fast schlimmer, als wenn alle vier Schlüssel fehlen würden. Vielleicht ist es wirklich schlimmer. Diese letzten vierundzwanzig Stunden waren voller Höhen und Tiefen. Ich käme ganz gern von der Achterbahn herunter.

    Morgens lade ich das ganze Zeug aus meinem Seesack in den neuen Koffer um. Er wirkt viel erwachsener als der alte Segeltuchsack. Unten hupt ein Taxi, das uns zum Bahnhof fahren soll. Ich verabschiede mich noch schnell von den Fischen und dann scheucht mich Mom aus der Tür. Lizzy steht schon auf der Veranda. Sie hat den Zettel in der Hand, den ich ihr letzte Nacht geschickt habe mit der Nachricht, dass ich den letzten
Schlüssel nicht finden konnte. Sie schaut hoch und ich sehe die Besorgnis in ihren Augen. »Kommst du klar?«
    Ich nicke und ringe mir tapfer ein Lächeln ab. Was soll ich sonst tun? Wenn ich nicht lächle, muss ich heulen. Ich sehe zu, wie der Taxifahrer unser Gepäck in den Kofferraum lädt. »Wir haben alles getan, was wir tun konnten, oder?«
    Lizzy knüllt das Papier zusammen und steckt es sich in die Tasche. »Ganz bestimmt. Das muss zu irgendwas gut sein. Komm, lass uns einfach versuchen, bei deiner Großmutter eine lustige Zeit zu haben. Verstehst du, uns mit dem Strom treiben lassen, wie Mr Rudolph es genannt hat.«
    »Ich weiß nicht, ob ich das kann«, antworte ich ehrlich.
    »Es gibt garantiert Waffeln«, sagt sie.
    Ein Lächeln, und diesmal ist es echt. »Und Essen am Spieß. Essen schmeckt am Spieß immer besser als normal.«
    »Ganz genau«, sagt sie, während meine Mom uns auf die Rücksitze des Taxis bugsiert.
    Als wir am Bahnhof ankommen, begleitet uns Mom zu der riesigen elektronischen Anzeigetafel, auf der gelistet steht, wo man in die jeweiligen Züge einsteigt. Unser Zug fährt über Dover, New Jersey, und ist ungefähr anderthalb Stunden unterwegs. Es gibt einen Zug nach Chicago, einen nach Miami und sogar einen nach Los Angeles. Unser Zug geht in sechs Minuten und wir müssen praktisch quer durch den ganzen Bahnhof rennen. Lizzy hat ihren Hula-Hoop-Reifen über eine Schulter gehängt, aber er fliegt ihr andauernd um den Kopf und trifft andere Leute. Alle paar Meter ruft sie: »Tut mir leid!«, oder: »Ups, Entschuldigung, war keine Absicht!«
    Wir erreichen unseren Zug zwei Minuten vor der Abfahrt. Unser Gepäck verstauen wir auf der Ablage über unseren Köpfen,
nur der Hula-Hoop-Reifen ist zu groß dafür. Lizzy legt ihn unter den Sitzen auf den Boden, und wir müssen alle drei unsere Füße hineinstellen, damit er nicht nach hinten in die nächste Reihe rutscht. Lizzy motzt, dass sie das verdammte Ding verbrennen wird, wenn alles vorbei ist. Ich erinnere sie daran, dass der Reifen aus Plastik ist, deshalb schlecht brennen und wahrscheinlich auch giftige Dämpfe absondern würde.
    Sie murmelt irgendetwas Unverständliches und versetzt dem Reifen einen Tritt.
     
    Grandma erwartet uns auf dem Bahnhof. Ich habe sie seit Monaten nicht gesehen, aber sie wirkt kein bisschen älter. Nach Dads Unfall ist sie über Nacht um ungefähr zehn Jahre gealtert. Seither hat sie sich nicht mehr verändert. Grandma ist wie der Marshmallow-Hase, den ich vor Kurzem gefunden habe, sie wird für

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