Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
der Suche nach Gesellschaft im Gemeinschaftsraum ein. Momentan allerdings nicht. Es herrscht Grabesstille, abgesehen von den Katzen natürlich. Lizzys Hula-Hoop-Reifen steht an die Wand gelehnt. Na, wenn schon, es ist ja sowieso niemand in der Nähe. Ich lege mir den Reifen um die Taille, gehe in die Mitte des Raums und lasse die Hüften kreisen.
Mensch, ich bin ja richtig gut! Ich bin ein Naturtalent! Der Reifen dreht und dreht sich, die kleinen Perlen innen drin schwingen im Rhythmus mit. Ich gehe in die Knie, bewege dabei weiter die Hüften und der Reifen ist jetzt gerade mal dreißig Zentimeter vom Boden entfernt. Immer noch dreht er sich. Langsam richte ich mich wieder auf. Der Reifen folgt mir nach oben. Nach ein paar Minuten meldet sich meine Übelkeit wieder. Ich lasse den Reifen um meine Oberschenkel kreisen, dann um die Knie und die Waden, bis ich ihn schließlich auf dem Boden zum Stillstand bringe.
Hinter mir bricht Beifall los und ein leiser Pfiff ertönt. Ich wirble herum und stolpere dabei seitlich über den Reifen. Lizzy, Mom und Grandma stehen da und klatschen. Meine Wangen brennen, aber ich bringe eine ungeschickte Verbeugung zustande.
Lizzy kommt zu mir und hebt ihren Hula-Hoop-Reifen auf.
»Wie lange versteckst du dieses geheime Talent schon vor mir?«
»Das wüsste ich auch gern«, sagt Mom.
»Ich dachte, du schläfst«, sage ich anklagend zu Lizzy.
»Vielleicht hätte ich dich mit dem Hula-Hoop-Reifen für den Nachwuchs-Talentwettbewerb anmelden sollen!«, sagt Grandma.
»Jetzt kriegt euch mal alle wieder ein«, sage ich und verdrücke mich in die Eingangsdiele. »Ich hab nur herumgeblödelt. Vergesst schnell, dass ihr das gesehen habt.«
»Mach’s noch mal, Jeremy!«, verlangt Lizzy und hält mir den Reifen entgegen.
»Warte, ich hol schnell meine Videokamera«, sagt Mom und ist bereits im Begriff, die Treppe hochzurennen.
Ich erkenne meinen Fluchtweg und nutze ihn, indem ich mit Höchstgeschwindigkeit aus der Eingangstür flitze. Hinter mir höre ich Gelächter. Wenn man einer Überzahl Frauen gegenübersteht, die einen auslachen, kann man nach meiner Erfahrung nur eines tun: so schnell wie irgend möglich abhauen.
Kapitel 18: Der State Fair
Am nächsten Morgen steht Grandma frühzeitig auf. Es ist der erste Tag des Jahrmarkts, sie muss ihre selbst gemachte Marmelade hinbringen und erfragen, welchen Tisch man ihr für den Wettbewerb im Tischdecken zugeteilt hat. »Wie kommt es eigentlich, dass Mom nirgends mitmachen muss?«, maule ich, während ich Rühreier futtere. Normalerweise würde ich nie im Leben Eier essen, aber Grandmas Rühreier esse ich, weil sie Mini-M&Ms daruntermischt. Mom weigert sich, das zu Hause auch mal auszuprobieren.
»Deine Mutter hat keine Wette verloren«, erwidert Grandma und gießt der gähnenden Lizzy Orangensaft ein. »Ihr beiden schon.«
»Wir haben unsere Lektion gelernt«, sagt Lizzy. »Nie wieder werden wir um was wetten. Können wir dann jetzt zurück ins Bett? Es sollen schließlich Ferien sein.«
Grandma schüttelt den Kopf. »Ausschlafen könnt ihr morgen. Ich denke, bei dem Wettbewerb am Dienstag möchtet ihr putzmunter sein.«
»Hat das irgendwas mit Katzen zu tun?«, frage ich.
»Hat was mit Katzen zu tun?«, fragt Grandma zurück und setzt sich mir gegenüber.
»Der Ausdruck ›putzmunter sein‹. Ich meine, weil Katzen sich doch so gerne putzen. Wenn sie gerade mal nicht rumdösen.«
»Ach so. Hm, nein, ich glaube nicht.«
Zwischen zwei Gabeln Rührei rollt Lizzy mit den Augen. »Sogar in den Ferien muss er noch alles wissen. Das ist eine Redewendung und sonst nichts.«
»Jede Redewendung kommt irgendwoher«, sage ich. »Würdest du dich nicht wohler fühlen, wenn du es wüsstest?«
»Ich würde mich wohler fühlen, wenn ich wieder im Bett wäre!«
»Hallo, wo ist denn Mom?«, frage ich.
Grandma schiebt ihren Stuhl zurück und schenkt den anderen Gästen Kaffee nach, bevor sie antwortet. »Sie erledigt ein paar Dinge für mich, damit ich euch beide zum Jahrmarkt bringen kann. Und jetzt seht zu, dass ihr fertig werdet, bevor alle Zuckerwatte ausverkauft ist.«
Grandma weiß wahrhaftig, wie man Leute motiviert!
Grandma hat kaum den Eintritt bezahlt und mit uns das Tor passiert, als ich tief Luft hole. Waffeln. Zuckerwatte. Buttertoffee. Corn Dogs. So muss es im Himmel riechen. Ich bleibe stehen, als wir an einem Stand vorbeikommen, der in diesem Jahr neu da ist. Ein Mann in roter Schürze taucht ein aufgespießtes Stück
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