Leben mit Hochsensibilitaet
gut leben. Ich bin unabhängig und selbständig. Ich finde es unangenehm, wenn andere an mir kleben. Ich glaube nicht an die wahre Liebe. Romantische Beziehungen halten ja meistens nicht lange.“
Hochsensible können in allen Gruppen vorkommen. Sie können tiefe, stabile (Liebes-)Beziehungen eingehen, ohne dass sie auf allzu große Probleme stoßen, sie können ängstlich oder fordernd sein, sie können Beziehungen wie die Pest meiden oder im Gegenteil verzweifelt suchen, und sie können klassische Einzelgänger sein: sich in die Einsamkeit zurückziehen, wie ein Mönch leben oder ständig als Abenteurer unterwegs sein.
Wie bei Nicht-Hochsensiblen wird auch bei Hochsensiblen die Bindungsstrategie weitgehend in der frühesten Kindheit gebildet. Ein ebenso großer Prozentsatz hochsensibler wie normalsensibler Menschen wächst in Problemfamilien auf und kann mit Bindungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. Übrigens sind Wissenschaftler, die diesen Themenkomplex erforschen, der Ansicht, dass man durch die Umstände nicht automatisch zu einer bestimmten Bindungsstrategie „verurteilt“ werde. Erfahrungen, die man im Laufe desLebens macht, können außerdem Strategieänderungen bewirken: So kann jemand mit Kontaktangst mit Hilfe eines liebevollen Partners und ein bisschen Willenskraft lernen, Vertrauen zurückzugewinnen und eine dauerhafte Beziehung aufrechtzuerhalten. Doch umgekehrt geht es auch: Schwerwiegende negative Erfahrungen können einen Menschen ängstlich oder fordernd machen, auch wenn diese Haltung nicht seinen Kindheitserfahrungen entspricht.
Zwischen Hochsensiblen und der Normalbevölkerung gibt es also in dieser Hinsicht wenig Unterschiede. Dazu möchte ich noch eine Anmerkung machen: Sensible Menschen sind durch ihre Wesensart sehr auf Kontakt ausgerichtet, sind aber aufgrund ihrer Sensibilität leicht verletzlich. Sie können sich schnell abgelehnt fühlen. Nach Aron ergeben Untersuchungen, dass Hochsensible, die in Familien mit vielen Spannungen aufgewachsen sind, eher als andere Menschen bestimmte Charakterzüge entwickeln, die das Risiko von enttäuschenden Liebesbeziehungen im weiteren Verlauf des Lebens erhöhen. Diese Charakterzüge sind vor allem pessimistische Lebenseinstellungen, Minderwertigkeitsgefühle, Depressionen und Angstgefühle. 17 Wenn mehr als eines dieser Merkmale bei dir deutlich wird, kann es sein, dass du immer wieder in unbefriedigende Beziehungen gelangst. Vielleicht sehnst du dich nach Nähe, aber wirst durch Angst und Unsicherheit gerade daran gehindert. Oder du unternimmst aus Schüchternheit und mangelndem Selbstvertrauen nichts, um einen Partner zu finden.
Was hingegen wieder schön ist: Hochsensible verlieben sich überdurchschnittlich schnell. Das hat zwei Gründe: Zum einen sind sie stärker auf Kontakt und Intimität ausgerichtet, zum anderen geraten sie schneller in einen Zustand von Erregung. Letzteres muss ich erklären. Untersuchungen zeigen, dass Menschen (gleichgültig, ob hochsensibel oder nicht) in einer gefährlichen, also Stress erzeugenden Situation schneller Verliebtheitsgefühle entwickeln. Das hat physiologische Ursachen. Bei körperlicher Anspannung oder emotionaler Erregung, also in Situationen, die uns nervös oder angespannt machen, produziert der Körper bestimmte Stoffe. Diesebewirken, dass wir schneller etwas für jemand anderen (glauben zu) empfinden. In dem mittlerweile unter Psychologen berühmten Experiment von Art Aron (dem Ehemann von Elaine Aron) wird diese Situation hervorgerufen durch folgendes Setting: Die Versuchspersonen treffen sich auf einer Brücke, die über einen steilen Abgrund führt. 18 Da nun Hochsensible eine Situation schneller spannend oder überwältigend finden, sind sie demzufolge auch eher „anfällig“ für Verliebtheit.
3.2.4 Schüchternheit
Schüchternheit ist eine der Blockaden beim Herstellen befriedigender Kontakte. Ich führe sie hier als besonderen Punkt auf, weil sie unter Hochsensiblen relativ häufig vorkommt. (Obwohl sie auch kulturell bedingt ist.)
Als Rose mit dem Studium begann, wurde ihr Leben durch ihre Schüchternheit bestimmt. Sie lebte, wie sie es ausdrückte, am liebsten unsichtbar. Sie schlich sich in Räume hinein und verschwand wieder, ohne dass andere es bemerkten. Nach vier Monaten hatten ihre 17 Mitbewohner auf der Etage des Studentenwohnheims sie noch nie gesehen. Höchstens hörten sie die Zimmertür aufgehen und irgendwann wieder ins Schloss fallen.
Die Aufmerksamkeit anderer
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