Leben um zu lieben (Junge Liebe) (German Edition)
beginnen würde, meine ganze Familie zu vergessen. Zugleich wusste ich, dass der gestrige Abend mir gut getan hatte und Kevin mir helfen wollte, ein neues Leben zu beginnen. Es war ein innerer Kampf, der ausgefochten wurde. Auf der einen Seite wollte ich endlich loslassen können und mein Leben wieder in den Griff bekommen. Andererseits hatte ich große Angst vor Veränderungen und unbewusst auch davor, dass Kevins Homosexualität ansteckend sein könnte. Diesen Gedanken hatte ich seit dem Moment, in welchem er und ich uns angesehen hatten, zu verdrängen versucht. Dennoch half es nicht, mich selbst zu belügen. Mir war klar, dass ich gestern nervös gewesen war und Gefühle in mir gespürt hatte, die ich nicht zulassen wollte. Ich versuchte mir also einzureden, dass ich nur etwas gefühlt hatte, was Freundschaft glich. Vermutlich hatte es sich gut angefühlt, weil ich endlich wieder Kontakt zu jemandem hatte und in den letzten Monaten zu einsam gewesen war.
Ich befreite mich aus der dreckigen Kleidung, legte Handtücher bereit und kletterte in die kleine Dusche, um zunächst eine angenehme Wassertemperatur einstellen zu können. Ich genoss das anfangs kühle und immer wärmer werdende Wasser, während ich bei dem Gedanken, dass Kevin gleich beim ersten Treffen bei mir übernachtet hatte, schmunzeln musste.
Somit spielte er wieder die Hauptrolle in meinem Kopf und brachte mich um meinen Verstand. So hatte ich ihm anfangs von Masken erzählt, die man sich aufsetzte, um sein eigenes Ich zu verstecken. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, mich vor mir selbst verstecken zu wollen, um mich nicht weiter mit den vielen Problemen beschäftigen zu müssen.
Während ich Duschgel auf meiner blassen Haut verteilte, versuchte ich erneut, ehrlich zu mir selbst zu sein. Dabei fühlte ich mich wie jemand, der an einer beschlagenen Scheibe sein Spiegelbild zu erkennen versuchte.
Wenn ich an die Zeit vor dem Unfall dachte, wusste ich, dass ich mich niemals hundertprozentig für Mädchen interessiert hatte. Freunde um mich herum hatten stets mit ihren Erlebnissen geprahlt und waren stolz gewesen, wenn sie ein Mädchen ins Bett bekommen hatten. Ich und mein bester Freund hatten uns häufig aufgrund dieser Punkte gestritten und erst später eingesehen, dass Frauen unsere Freundschaft nicht wert waren.
Ich versuchte mich weiter an meine Gefühle während der Pubertät zu erinnern und kam zu dem Entschluss, dass ich mich in all den Jahren nicht einmal gründlich mit mir selbst auseinandergesetzt hatte. Dass ich anders sein könnte, hatte ich nie in Betracht gezogen.
An meinem achtzehnten Geburtstag hatte ich eine Party in unserer kleinen Garage neben dem Haus schmeißen dürfen. Neben vielen guten Freunden hatte ich nur die Mädchen eingeladen, die von uns Jungs auf der Feier gewünscht waren. Darunter befand sich auch Melanie, die ein beliebtes Mädchen auf unserer Schule war. Sie war blond, einige Sommersprossen verteilten sich über ihre Nase und Wangen und ihre Augen hatten gestrahlt, wenn sie einen anlächelte. Tobias, mein damaliger bester Freund, hatte Melanie erzählt, dass ich auf sie stehen würde. Er hatte diese Flunkerei damit begründet, dass er sich Sorgen um mich machen würde, wenn ich nicht endlich eine Freundin finden würde. Die Geburtstagsfeier lief in vollen Zügen, es floss Alkohol und somit geschah es, dass Melanie und ich uns küssten und ab diesem Moment als ein Paar abgestempelt wurden. Melanie war glücklich über diese Aussage gewesen und hatte mir gestanden, dass sie schon seit langer Zeit ein Auge auf mich geworfen hatte.
Die auf meinen Geburtstag folgenden Tage waren nicht leicht für mich gewesen. Ich wollte weder von meinen Freunden verurteilt werden, noch wollte ich Melanie verletzen. Ich hatte sie wirklich gern gehabt, aber nie mehr als Freundschaft für sie empfunden. Trotzdem blieben wir für mehr als ein Jahr lang ein Paar. Wir hatten viel zusammen unternommen, erste Zärtlichkeiten ausgetauscht und unser erstes Mal miteinander erlebt. All das war eine schöne Zeit gewesen, der ich jedoch nie besonders viel Bedeutung geschenkt hatte. Melanie hatte sich sofort nach dem Abitur einen Studienplatz an einer auswärts liegenden Universität gesucht, wodurch wir uns im gegenseitigen Einverständnis voneinander getrennt hatten.
Ich griff nach dem Shampoo und schäumte meine Haare nachdenklich damit ein. Wenn es womöglich sein könnte, dass ich schwul war, wollte ich mit dieser neuen Entdeckung
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