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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Hausherr aß nichts; nur Wasser nahm er zu sich aus einem Krug …
    Gluschkow riss den Umschlag auf, trat ganz nah an das Bett heran und las mit gedämpfter Stimme langsam und deutlich! »Grüß Dich, mein lieber Wanja, grüß Dich, Du mein Bester, mein Einziger …«
    Gluschkow runzelte die Stirn und fuhr fort, den Inhalt des Briefes laut zu entziffern.
    Er las dem bewusstlosen Kommandeur den Brief seiner Frau vor, einen Brief, den bereits die militärischen und zivilen Zensoren aufgebrochen hatten, einen guten, traurigen, ehrlichen Brief, den zu lesen doch nur einem einzigen Menschen auf der ganzen Welt zustand – Berjoskin.
    Gluschkow war nicht sehr überrascht, als Berjoskin den Kopf drehte, die Hand nach dem Brief ausstreckte und sagte: »Gib her.« Die Zeilen des Briefes zitterten und tanzten in den großen Händen:
    »Wanja, hier ist es wunderschön, Wanja; ich sehne mich so nach Dir. Ljuba fragt unentwegt, warum Papa nicht da ist … Wir wohnen am See; das Haus ist warm; die Wirtin hat eine Kuh und Milch; wir haben auch das Geld, das Du geschickt hast, und wenn ich morgens rausgehe, schwimmen gelbe und rote Ahornblätter auf dem kalten Wasser, und ringsumher liegt schon Schnee, und Wasser und Himmel werden besonders blau, und die Blätter sind ganz unwahrscheinlich gelb und unwahrscheinlich rot. Ljuba fragt, warum ich weine … Wanja, Wanja, mein Liebster, danke für alles, danke für alles, alles, für Deine Güte. Warum weine ich, wie soll ich das erklären? Ich weine, weil ich lebe, ich weine vor Trauer, dass Slawa nicht mehr da ist, während ich lebe, ich weine vor Glück – Du lebst, ich weine, wenn ich an Mutter denke, an die Schwestern, weine wegen dem Morgenlicht, weil alles ringsumher so schön ist und alle überall so traurig sind, ich auch. Wanja, Wanja, mein Liebster, mein Einziger, mein Guter …«
    Ihn schwindelte; die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen, die Finger zitterten, und auch der Brief zitterte in der aufgeheizten Luft.
    »Gluschkow«, sagte Berjoskin. »Ihr müsst mich heute gesund machen – Tamara mochte dieses Wort nicht. Wie ist es denn, ist der Heißwasserapparat noch in Ordnung?«
    »Ja. Aber wie sollen wir Sie denn in einem Tag gesund kriegen ? Sie haben vierzig Grad Fieber, so viel wie ein halber Liter Schnaps, die lassen sich nicht so einfach wegmachen.«
    Soldaten wälzten polternd ein leeres Benzinfass in den Unterstand. Sie füllten es zur Hälfte mit dampfendem, trübem Flusswasser, das sie mit einem Schöpfer und einem Segeltucheimerchen in das Fass gossen. Gluschkow half Berjoskin beim Ausziehen und führte ihn zu dem Fass.
    »Es ist wirklich sehr heiß, Genosse Oberstleutnant«, sagte er warnend, nachdem er das Fass prüfend von außen berührt und die Hand schnell weggezogen hatte. »Sie werden sich noch verbrühen. Ich wollte den Genossen Kommissar zu Hilfe holen, aber der ist in einer Besprechung beim Divisionskommandeur, warten wir lieber auf ihn.«
    »Wozu warten?«
    »Wenn Ihnen was zustößt, erschieß ich mich. Und wenn ich’s nicht fertigbringe, dann erschießt mich Kommissar Piwowarow.«
    »Komm, hilf mir.«
    »Lassen Sie mich wenigstens den Stabschef rufen.«
    »Na«, sagte Berjoskin nur, und obwohl dieses heisere, kurze »na« von einem Mann kam, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, sträubte sich Gluschkow daraufhin nicht länger.
    Berjoskin stöhnte, ächzte und warf sich in dem heißen Wasser hin und her, und Gluschkow umkreiste, ebenfalls stöhnend und ächzend, das dampfende Fass.
    »Wie in einem Entbindungsheim«, dachte er unwillkürlich.
    Berjoskin verlor kurz das Bewusstsein – vor seinen Augen verschwamm alles zu Dampf, sowohl der Kriegslärm als auch die Hitze der Krankheit. Plötzlich erstarrte sein Herz, und das heiße Wasser hörte auf zu brennen. Dann kam er wieder zu sich und sagte zu Gluschkow: »Man muss den Boden aufwischen.«
    Doch Gluschkow sah nicht, wie das Wasser über den Rand des Fasses schwappte. Das hochrote Gesicht des Regimentskommandeurs war plötzlich leichenblass geworden; der Mund hatte sich halb geöffnet, und auf dem glattrasierten Schädel hatten sich große, wie Gluschkow meinte, blaue Schweißtropfen gebildet. Berjoskin verlor wieder das Bewusstsein, doch als Gluschkow versuchte, ihn aus dem Wasser zu ziehen, sagte er deutlich: »Noch nicht«, und fing an zu husten. Als der Hustenanfall vorüber war, befahl Berjoskin mit halb erstickter Stimme: »Gieß noch heißes nach.«
    Endlich stieg er aus dem

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