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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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mit der Pistole, fluchen und schicken ihre Leute sinnlos ins Feuer. Gerade kürzlich hab ich’s wieder erlebt. Da weint mir ein Bataillonskommandeur die Ohren voll: ›Soll ich denn meine Leute den MGs zum Fraß vorwerfen?‹ Ich sag zu ihm: ›Hast recht, wir machen die Feuerpunkte besser mit der Artillerie fertig.‹ Doch der Divisionskommandeur, ein General, geht mit den Fäusten auf den Bataillonskommandeur los und schreit: ›Entweder du rückst jetzt sofort aus, oder ich erschieß dich wie einen Hund.‹ Na, da ist er gegangen, hat seine Leute zur Schlachtbank geführt, wie Vieh.«
    »Ja, ja, so was nennt man ›Störe meine Kreise nicht‹«, sagte Magid. »Übrigens, wussten Sie schon, dass sich Generäle nicht durch Knospenbildung, sondern durch Funkerinnen vermehren?«
    »Und können keine zwei Wörter ohne fünf Fehler schreiben«, ergänzte Lopatin.
    »Genau, genau«, sagte Morosow, der nicht richtig hingehört hatte. »Das einzige Mittel gegen sie ist es, wenig Blut zu vergießen. Ihre Stärke liegt nur darin, dass sie ihre Leute nicht schonen.«
    Morosow sprach Nowikow aus dem Herzen. Sein gesamtes Soldatendasein über war er immer wieder auf solche und ähnliche Dinge gestoßen.
    Trotzdem sagte er schroff: »Was soll das heißen, seine Leute schonen? Wer seine Leute schonen will, soll gar nicht erst anfangen zu kämpfen.«
    Die heutige Begegnung mit den frisch einberufenen Jungen war ihm sehr zu Herzen gegangen. Er hätte gerne von ihnen erzählt, doch anstatt das Gute auszusprechen, das ihn erfüllte, wiederholte er mit plötzlicher, ihm selbst unbegreiflicher Schärfe; »Was soll das heißen, seine Leute schonen? Dafür ist der Krieg doch da, dass man sich und andere nicht schont. Viel schlimmer ist, dass man unausgebildete Hinterwäldler in die Truppenteile scheucht und ihnen wertvolles Kriegsmaterial anvertraut. Da fragt sich’s wirklich, wen man schonen sollte.«
    Neudobnow blickte schnell von dem einen Redner zum anderen. Er hatte nicht wenige anständige Leute von der Art, wie sie jetzt hier um den Tisch saßen, zugrunde gerichtet, und Nowikow kam plötzlich der Gedanke, dass das Unheil, das von diesem Menschen ausging, nicht geringer war als das, was Morosow, ihn selbst, Magid, Lopatin und die Dorfjungen, die sich heute um den Brunnen getummelt hatten, an der vordersten Linie erwartete.
    Neudobnow sagte schulmeisterhaft: »Das lehrt uns Genosse Stalin nicht. Genosse Stalin lehrt uns, dass der teuerste und wertvollste Schatz Menschen sind, unsere Kader. Unser wertvollstes Kapital sind die Kader, die Menschen; sie muss man hüten wie einen Augapfel.«
    Nowikow bemerkte, dass die Zuhörer dem zustimmten, und dachte: »Das ist interessant: Jetzt stehe ich also vor den Nachbarn als grausame Bestie da und Neudobnow als großer Beschützer. Schade, dass Getmanow nicht hier ist. Der würde sicher am allerbesten abschneiden. Immer geht’s mir mit diesen Leuten so.«
    Er unterbrach Neudobnow und sagte gewollt schroff und grob: »Menschen haben wir viele, Technik nur wenig. Einen Menschen kann jeder Esel machen, das ist kein Panzer und kein Flugzeug. Wer Menschenleben schonen will, darf keine Befehlsgewalt übernehmen.«
    36
    Der Oberbefehlshaber der Stalingradfront, Generaloberst Jeremenko, hatte den Befehlsstab des Panzerkorps – Nowikow, Getmanow und Neudobnow – zu sich bestellt.
    Am Vorabend hatte Jeremenko die Brigaden inspiziert, doch zum Stab des Korps war er nicht gekommen.
    Die Kommandeure saßen unruhig auf ihren Stühlen und schauten erwartungsvoll auf ihren Befehlshaber. Jeremenko fing den Blick Getmanows auf, der über das Feldbett mit dem zerdrückten Kissen hinwegglitt.
    »Mein Bein macht mir schwer zu schaffen«, schimpfte er und bedachte sein Bein mit Schmähworten.
    Alle schwiegen und sahen ihn an.
    »Im Großen und Ganzen scheint das Korps marschbereit, alles ist rechtzeitig fertig geworden«, sagte Jeremenko und sah zu Nowikow hinüber, dem aber bei diesem Lob nicht vor Freude die Röte ins Gesicht schoss.
    Jeremenko wunderte sich etwas, dass der Korpskommandeur das Lob eines mit solchen Auszeichnungen eher geizenden Befehlshabers so gleichmütig aufnahm.
    »Genosse Generaloberst«, sagte Nowikow. »Ich habe Ihnen schon berichtet, dass eigene Jagdfliegerverbände zwei Tage lang die zu unserem Panzerkorps gehörende einhundertsiebenunddreißigste Panzerbrigade bombardiert haben, die im Gebiet der Steppenschluchten zusammengezogen wurde.«
    Jeremenko dachte mit zusammengekniffenen

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